§ 51 RVG
Leitsatz
- Das Verfahren ist sowohl besonders umfangreich als auch besondere schwierig i.S.d. § 51 RVG, wenn sich im Aktenbestand über 150 Bände Sachakten und etwa 100 Bände Personenakten befinden, Tatvorwürfe über einen Zeitraum von rund zwölf Jahren verhandelt wurden, die Hauptverhandlung an insgesamt 234 Hauptverhandlungstagen und über einen Zeitraum von über vier Jahren stattfand und es sich um das erste Verfahren im Hinblick auf eine zur Last gelegte Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung namens TKP/M handelt.
- Kann nur bedingt von einer fast ausschließlichen Inanspruchnahme für die Pflichtverteidigung in dem Verfahren ausgegangen werden, weil zeitweise ein anderes ungewöhnlich umfangreiches Verfahren noch parallel betrieben wurde, und kommt ein vollständiger Ausschluss einer Pauschvergütung für den Überschneidungszeitraum aus Billigkeitsgesichtspunkten nicht in Betracht, ist im Einzelfall eine pauschale Kürzung der gesamten Pauschgebühr um 10 % angemessen.
OLG München, Beschl. v. 25.11.2021 – 7 St (K) 4/21
I. Sachverhalt
Die Pflichtverteidigerin war als Verteidigerin in einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des OLG München tätig. Dieses endete am 28.7.2020 mit der Verurteilung des Angeklagten nach 234 Hauptverhandlungstagen wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Die gesetzlichen Gebühren für das Verfahren betragen 146.464,00 EUR. Die Pflichtverteidigerin hat am 31.3.2021/18.6.2021 die Bewilligung eines Vorschusses auf eine zu erwartende Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 S. 1 und 5 RVG i.H.v. insgesamt 312.212,50 EUR beantragt. Die Vertreterin der Staatskasse hat sich dazu dahin geäußert, dass eine Anhebung der gesetzlichen Gebühren für Tätigkeiten im Vorfeld angemessen sei. Hinsichtlich der geltend gemachten Pauschalgebühren für die Teilnahme an der Hauptverhandlung bestünden keine Einwendungen gegen eine Zubilligung an der Obergrenze der Wahlverteidigerhöchstgebühren. Ggf. sei aber vergütungsmindernd zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin parallel im sog. NSU-Verfahren (Verhandlungsbeginn im Mai 2013, Urteil am 11.7.2018) als Nebenklagevertreter tätig gewesen sei und ihr insoweit für ihre Tätigkeit als Nebenklagevertreter für einen Nebenkläger eine Pauschgebühr von 391.128,00 EUR bewilligt worden sei.
Das OLG hat einen Vorschuss auf eine Pauschvergütung bewilligt. Nach Auffassung des OLG macht die Pflichtverteidigerin den Anspruch auf Gewährung eines Vorschusses auf eine Pauschvergütung – allerdings nicht in der geltend gemachten Höhe – zurecht geltend.
II. Besonderer Umfang und besondere Schwierigkeit
Inwieweit die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pauschvergütung nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG gegeben seien, lasse sich – so das OLG – im Allgemeinen erst aufgrund einer Gesamtschau des Verfahrens nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss beurteilen; zuvor sei ein Vorschuss unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 S. 5 RVG zu gewähren. Das OLG geht aber davon aus, dass sich das vorliegende Verfahren sowohl durch einen besonderen Umfang als auch durch besondere Schwierigkeit i.S.d. § 51 RVG auszeichne.
1. Besonderer Umfang
Das Verfahren sei besonders umfangreich gewesen. Im Aktenbestand befanden sich über 150 Bände Sachakten und etwa 100 Bände Personenakten. Verhandelt worden seien Tatvorwürfe über einen Zeitraum von rund zwölf Jahren. Die Hauptverhandlung habe an insgesamt 234 Hauptverhandlungstagen und über einen Zeitraum von über vier Jahren stattgefunden.
2. Besondere Schwierigkeit
Das Verfahren sei auch besonders schwierig gewesen. Zum einen habe es sich bei dem Verfahren um das erste Verfahren im Hinblick auf die zur Last gelegte Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung namens TKP/ML gehandelt. Verhandelt worden seien zudem eine Vielzahl von vorgeworfenen Bezugstaten sowie die Teilnahme an einer Vielzahl von Versammlungen. Besonders großen Raum habe die Verhandlung über Übersetzungen von Audioaufzeichnungen aus operativen Maßnahmen eingenommen.
III. Höhe der Pauschgebühr
1. Einzelbeträge
Das OLG hat einen Vorschuss auf eine Pauschvergütung von insgesamt: 228.573,00 EUR bewilligt. Dabei sind für die einzelnen Verfahrensabschnitte folgende Beträge als Vorschuss festgesetzt worden, wobei das OLG jeweils davon ausgegangen ist, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar niedrig sind:
Anstelle der Grundgebühr nach Nr. 4101 VV ist nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG – anstelle der gesetzlichen Grundgebühr i.H.v. 193,00 EUR – eine Pauschgebühr i.H.v. 10.000 EUR, was dem Antrag der Verteidigerin entsprochen hat, festgesetzt worden. Anstelle der gesetzlichen Vorverfahrensgebühr nach Nr. 4105 VV i.H.v. 161,00 EUR hat das OLG eine Pauschvergütung von 6.000,00 EUR festgesetzt. Anstelle der gesetzlichen Verfahrensgebühr nach Nr. 4119 VV i.H.v. 385,00 EUR wurde eine Pauschvergütung von 25.000,00 EUR festgesetzt.
Anstelle der Terminsgebühren nach Nrn. 4121 und 4122 VV für die Teilnahme an 229 Tagen ist eine Pauschgebühr von 212.970...