1. Wenn man den Sachverhalt und die Begründung des OLG für die Absetzung der Gebühren Nrn. 4100, 4104 VV gelesen hat, muss man erst einmal tief Luft holen. Man fragt sich (verärgert), was eigentlich solche Entscheidungen sollen und warum es immer wieder das OLG Frankfurt ist, dass insbesondere im Gebührenrecht durch von der h.M. abweichende verteidigerunfreundliche Entscheidungen auffällt, sei es bei der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.6.2019 – 2 Ws 13/19; RVGreport 2020, 309) sei es bei der "Befriedungsgebühr" Nr. 4141 VV (u.a. OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.3.2011 – 2 Ws 177/11). Ob es daran liegt, dass man Verteidiger nicht mag oder ob die Gebührenkenntnisse nicht ausreichen, mag dahinstehen. Denn jedenfalls ist auch dieser Beschluss falsch.
2. Das OLG übersieht m.E., dass für einen Pflichtverteidigerwechsel unterschiedliche Gründe vorliegen können. Es kann sich um einen sog. einvernehmlichen und kostenneutralen Wechsel handeln oder um eine Entpflichtung und Umbeiordnung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses. Das war schon nach altem Recht, was hier anwendbar ist, so und hat sich durch die Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung im Dezember 2019 nicht geändert. Diese beiden "Wechsel"-/Umbeiordnungsgründe“ muss man m.E. scharf trennen. Denn nur im Fall eines einvernehmlichen Wechsels wird von der Rspr. – ob zu Recht, soll dahingestellt bleiben – der Verzicht des neuen Pflichtverteidigers auf gesetzliche Gebühren, soweit diese beim früheren Pflichtverteidiger entstanden sind, verlangt (vgl. dazu zum alten Recht Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 3213 und 3216, jeweils m.w.N. und zum neuen Recht Hillenbrand in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 3540). Geht es um eine Umbeiordnung wegen Störung des Vertrauensverhältnisses, scheidet das aus.
Legt man diese zutreffende Sicht zugrunde, hätte hier nicht auf den Verzicht des neuen Pflichtverteidigers abgestellt werden dürfen (in dem Sinne auch LG Siegen StRR 2015, 463). Denn "umbeigeordnet" worden ist wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses, und zwar in vollem Umfang. Der Beiordnungsbeschluss des AG v. 13.3.2019 enthielt zudem auch keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der beim neuen Pflichtverteidiger entstehenden Gebühren (vgl. auch Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Teil A Rn 2243 ff.), sodass sich auch schon von daher die Frage stellt, ob die Gebühren Nrn. 4101, 4104 VV zu Recht nicht festgesetzt worden sind. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Verzicht im Antrag vom 12.2.2019. Denn der Antrag war erkennbar auf einen "einvernehmlichen" Wechsel im Hinblick auf eine kostenneutrale Umbeiordnung erklärt und ist i.Ü. auch von der Staatsanwaltschaft, wie deren Stellungnahme zu dem Antrag vom 12.2.2019 zeigt, so verstanden worden. Alles andere macht auch keinen Sinn. Zumindest stand dieser Verzicht unter dem Vorbehalt eines "einvernehmlichen Wechsels", zu dem es aber nicht gekommen ist. Für einen Verzicht auch für den Fall eines "gestörten Vertrauensverhältnisses" hatte Rechtsanwalt P. überhaupt keinen Anlass. Die Entscheidung des OLG geht – mal wieder zu Lasten eines Verteidigers – an der Interessen- und Rechtslage vorbei.
3. Die Entscheidung führt für Verteidiger zu dem Rat, klar und deutlich zu definieren und zu erklären, worauf und wie lange ggf. verlangte Gebührenverzichte sich beziehen.
4. Und dann noch: Unverständlich ist der letzte Satz des OLG-Beschlusses, der im Original lautet:
Zitat
"Auch ist es nicht unbillig, dem Pflichtverteidiger die Gebühren, auf die er zuvor wirksam verzichtet habe, gleichwohl zuzuerkennen."
Zunächst: Dieser Satz ist unverständlich und sinnlos. Er macht allenfalls dann Sinn, wenn man ein "nicht" ergänzt und es dann heißt:
Zitat
"Auch ist es nicht nicht unbillig, ...".
Also ist es "billig". Man fragt sich dann allerdings, was die Billigkeit mit Anwaltsgebühren zu tun hat. Beim OLG Frankfurt leider offenbar viel.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 12/2022, S. 575 - 576