§ 143 StPO; Nrn. 4101, 4104 VV RVG
Leitsatz
Hat der Rechtsanwalt einmal im Hinblick auf eine einvernehmliche, kostenneutrale Umbeiordnung auf ggf. entstehende Gebühren verzichtet, ist er an diesen Verzicht gebunden, auch wenn später eine Entpflichtung des früheren Pflichtverteidigers wegen Störung des Vertrauensverhältnisses erfolgt.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.11.2021 – 2 Ws 84/21
I. Sachverhalt
Rechtsanwalt P., der zuvor als Wahlverteidiger mandatiert war, wurde dem zwischenzeitlich Verurteilten auf dessen Antrag hin durch Beschluss des AG vom 13.3.2019 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Im gleichen Beschluss wurde die bisherige Pflichtverteidigerin Rechtsanwältin D. entpflichtet. Das AG ist in seinem Beschl. v. 13.3.2019 von einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses des späteren Verurteilten zu seiner bisherigen Pflichtverteidigerin ausgegangen. Die bisherige Pflichtverteidigerin hatte im Schriftsatz vom 8.3.2019 angegeben, dass das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem späteren Verurteilten aus ihrer Sicht in vollem Umfang bestehe und die Aufrechterhaltung ihrer Pflichtverteidigerbestellung beantragt.
In einem an das AG gerichteten Schriftsatz des Rechtsanwalt P. vom 12.2.2019 hatte sich dieser zuvor wie folgt geäußert:
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"Weiterhin wird dem Wunsch des Beschuldigten entsprochen und ein Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel gestellt. Herr PP. möchte sich nicht mehr von Frau D. verteidigen lassen. Im Fall eines Wechsels wird der Unterzeichner sein Wahlmandat niederlegen und auf bereits entstandene Gebühren verzichten."
Die Staatsanwaltschaft hatte dazu dahingehend Stellung genommen, dass zwar
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die (hohen) Voraussetzungen für einen Widerruf der Beiordnung der Pflichtverteidigerin nach § 143 StPO … nach den bisherigen Darstellungen …. nicht vor[liegen]. Eine Stellungnahme der Pflichtverteidigerin hat die Staatsanwaltschaft bisher nicht erreicht. Sollte Einverständnis mit dem Widerruf der Beiordnung bei ihr bestehen, würde sich die Staatsanwaltschaft einem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegenstellen, da der neue Verteidiger einen Verzicht für die bereits bei der Pflichtverteidigerin entstandenen Gebühren (Grund- und Verfahrensgebühr) erklärt hat, sodass keine nennenswerten Mehrkosten zu erwarten sind.
Die frühere Pflichtverteidigerin hat am 21.3.2019 ihre Tätigkeit mit 443,87 EUR gegenüber dem AG abgerechnet. Dabei sind die Gebühren Nrn. 4101, 4104 VV mit netto 192,00 EUR abgerechnet worden. Mit Schriftsatz vom 26.11.2020 hat Rechtsanwalt P. nach Verurteilung des Angeklagten seine Pflichtverteidigertätigkeit gegenüber dem LG abgerechnet. Der Rechtspfleger hat diese Gebühren abgesetzt, da sie bereits für Rechtsanwältin D. entstanden seien und mit Schreiben vom 12.2.2019 auf die bereits entstandenen Gebühren verzichtet worden sei. Auf die sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts P. hat das LG diese Gebühren dann aber festgesetzt. Auf das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Bezirksrevisorin hat das OLG die Gebührenfestsetzung des Rechtspflegers wieder hergestellt.
II. Einmal erklärter Verzicht gilt
Das OLG verweist darauf, dass Rechtsanwalt P. in seinem Schriftsatz vom 12.2.2019, in dem er für den inzwischen Verurteilten, den Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel gestellt hat, erklärt habe, im Falle eines Wechsels sein Wahlmandat niederzulegen und auf bereits entstandene Gebühren zu verzichten. Im Hinblick hierauf habe die Staatsanwaltschaft erklärt, sich einem Pflichtverteidigerwechsel nicht entgegenzustellen. Nachdem das AG mit Beschl. v. 13.3.2019 die vormalige Pflichtverteidigerin entpflichtet und Rechtsanwalt P. zum Pflichtverteidiger bestellt habe, sei die Bedingung, unter der der der Pflichtverteidiger seinen Gebührenverzicht erklärt habe, eingetreten. Aufgrund dieses Verzichts, der nicht lediglich hilfsweise, sondern eindeutig erklärt worden sei, habe der Rechtsanwalt keinen Anspruch auf die vom Rechtspfleger abgesetzten Gebühren, die bereits bei der vormaligen Pflichtverteidigerin entstanden seien. Der Umstand, dass das AG die Voraussetzungen für eine Entpflichtung der vormaligen Pflichtverteidigerin wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses zum inzwischen Verurteilten später entpflichtet habe, sei insoweit ohne Belang. Auch wäre es unbillig, dem Pflichtverteidiger die Gebühren, auf die er zuvor wirksam verzichtet habe, gleichwohl zuzuerkennen.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Wenn man den Sachverhalt und die Begründung des OLG für die Absetzung der Gebühren Nrn. 4100, 4104 VV gelesen hat, muss man erst einmal tief Luft holen. Man fragt sich (verärgert), was eigentlich solche Entscheidungen sollen und warum es immer wieder das OLG Frankfurt ist, dass insbesondere im Gebührenrecht durch von der h.M. abweichende verteidigerunfreundliche Entscheidungen auffällt, sei es bei der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.6.2019 – 2 Ws 13/19; RVGreport 2020, 309) sei es bei der "Befriedungsgebühr" Nr. 4141 VV (u.a. OLG Frankfurt, Beschl. v. 5.3.2011 – 2 Ws 177/11). Ob es daran liegt, dass man Verteidiger nicht mag oder ob die Gebührenkenntnis...