Nrn. 7003 ff. VV RVG
Leitsatz
Beauftragt eine Partei einen nicht am Gerichtsort ansässigen Anwalt, der seine Kanzlei jedoch im Gerichtsbezirk unterhält, sind dessen Reisekosten auch im Verwaltungsgerichtsprozess in voller Höhe erstattungsfähig.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 6.11.2023 – OVG 3 K 58/23
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte für das Verfahren vor dem VG einen Anwalt beauftragt, der zwar im Gerichtsbezirk niedergelassen war, seine Kanzlei aber nicht am Gerichtsort hatte. Dessen Reisekosten hat das VG antragsgemäß festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Beklagten, die geltend macht, dass es nicht nachvollziehbar sei, weshalb der Erinnerungsgegner nicht einen Verfahrensbevollmächtigten beauftragt habe, der am Sitz des Gerichts ansässig sei. Die Urkundsbeamtin hat zunächst antragsgemäß festgesetzt. Auf die Erinnerung der Beklagten hin hat sie die Reisekosten wieder abgesetzt. Auf die hiergegen wiederum erhobene Erinnerung des Klägers hat das VG die Erinnerung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Anwalt im Gerichtsbezirk ist erstattungsfähig
Die Argumentation der Erinnerungsführerin überzeugt nicht. Zwar steht die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Rechtsanwalts nach § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln muss, und ist der daraus herzuleitende Grundsatz der Kostenminimierung bei der Anwaltswahl mit der Folge zu beachten, dass Reisekosten eines Rechtsanwalts ohne nähere Prüfung nur dann voll zu erstatten sind, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz seines Mandanten oder in dessen Nähe hat (OVG Berlin-Brandenburg NJW-Spezial 2023, 636). Der Prozessbevollmächtigte des Erinnerungsgegners hat seine Kanzlei zwar nicht am Sitz, wohl aber im Bezirk des vom Erinnerungsführer angerufenen Gerichts. Es wären sogar höhere Reisekosten entstanden, wenn der Prozessbevollmächtigte des Erinnerungsgegners am Sitz seines Mandanten ansässig gewesen wäre.
III. Bedeutung für die Praxis
In verwaltungsgerichtlichen Verfahren richtet sich der Umfang der Kostenerstattung nach § 162 VwGO.
Danach sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig (§ 162 Abs. 2 S. 1 VwGO). Ein Verweis auf § 91 Abs. 2 ZPO fehlt allerdings. Die Erstattungsvorschrift des § 162 VwGO differenziert im Gegensatz zu § 91 ZPO nicht nach einem Anwalt, der am Gerichtsort ansässig ist, im Gerichtsbezirk niedergelassen ist oder außerhalb wohnt oder niedergelassen ist.
Insoweit hat das BVerwG (NJW 2007, 3656 = RVGreport 2008, 65) Folgendes klargestellt:
Zitat
"§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestimmt, dass Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten stets erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig sind, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung. Der Gesetzgeber wollte die Beteiligten im Verwaltungsprozess nämlich bei der Wahl eines Rechtsanwalts ihres Vertrauens freier stellen (vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 162 Rn 10; Olbertz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Februar 2007, § 162 Rn 49), um es ihnen zu erleichtern, einen im Verwaltungsrecht qualifizierten Anwalt zu finden (vgl. BT-Drucks 3/55 S. 48)."
Ebenso hat das OVG Bautzen entschieden (NVwZ-RR 2017, 311):
Zitat
"Eine § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO inhaltlich entsprechende Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nur erstattungsfähig sind, wenn dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war, gibt es nach der Verwaltungsgerichtsordnung nicht."
Ebenso auch das VG Aachen (NJW-Spezial 2019, 764):
Zitat
"Eine Beschränkung der Erstattung von Reisekosten eines auswärtigen Anwalts kommt in verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs in Betracht. Eine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Sitz des Gerichts tätigen oder wohnhaften Rechtsanwalt nur erstattungsfähig sind, wenn seine Zuziehung notwendig war, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung nicht. Die für den Zivilprozess insoweit in § 91 Abs. 2 Satz 1 der ZPO getroffene Regelung findet über § 173 VwGO keine Anwendung, da der Gesetzgeber die Beteiligten im Verwaltungsprozess bei der Wahl eines Rechtsanwalts ihres Vertrauens freier stellen wollte."
Ungeachtet dessen wird in der Rspr. – wie hier – vielfach die Auffassung vertreten, dass die Anwendung des § 162 Abs. 2 S. 1 VwGO auf die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO stehe, wonach es sich um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Aufwendungen handeln müsse. Dem daraus herzuleitenden Grundsatz der Kostenminimierung sei bei der Anwaltswahl Rechnung zu tragen, indem ein Anwalt...