§§ 12b S. 1, 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG; § 65d SGG

Leitsatz

Die Pflicht zur Übermittlung von Schriftsätzen an das Sozialgericht als elektronisches Dokument gilt auch für den Bezirksrevisor als Vertreter der Landeskasse, der gegen die Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung Beschwerde einlegt.

LSG Essen, Beschl. v. 12.5.2023 – L 19 AS 1476/22 B

I. Sachverhalt

Das LSG Essen hatte den Klägern in einem sozialgerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt X, bewilligt. Nach Beendigung des Verfahrens hat Rechtsanwalt X beantragt, seine Vergütung aus der Staatskasse auf 969,79 EUR festzusetzen. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) hat dem Antrag nur i.H.v. 603,79 EUR entsprochen. Gegen die Absetzung des Differenzbetrages hat Rechtsanwalt X Erinnerung eingelegt. Das SG Gelsenkirchen hat der Erinnerung durch Beschl. v. 26.8.2022 ganz überwiegend abgeholfen und die dem Rechtsanwalt X aus der Staatskasse zustehenden Gebühren und Auslagen auf 960,69 EUR festgesetzt. Dieser Beschluss wurde der Staatskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor, am 30.8.2022 zugestellt. Mit Schreiben vom 6.9.2022, per Telefax beim SG Gelsenkirchen am 7.9.2022 eingegangen, hat der Bezirksrevisor gegen den Beschl. des SG v. 26.8.2022 Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, die dem Rechtsanwalt X aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung nur auf 270,59 EUR festzusetzen.

Das für die Entscheidung über diese Beschwerde zuständige LSG Essen hat den Bezirksrevisor mit Vergütung vom 13.4.2023 darauf hingewiesen, seine Beschwerde sei unzulässig, da sie nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei. Der Bezirksrevisor hat von der ihm eingeräumten Möglichkeit, hierzu Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht.

Das LSG Essen hat die Beschwerde des Bezirksrevisors als unzulässig verworfen.

II. Zulässigkeit der Beschwerde

1. Beschwerdeführer

Das LSG Essen hat zunächst darauf hingewiesen, dass nach den maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften im Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung das Land Nordrhein-Westfalen als "Staatskasse" anzusehen ist, das vom Bezirksrevisor vertreten werde. Dieser sei organisatorisch dem Land Nordrhein-Westfalen zugeordnet und trete für dieses Land als Handelnder auf. Beschwerdeführer sei jedoch gleichwohl das Land Nordrhein-Westfalen als juristische Person des öffentlichen Rechts.

2. Form der Beschwerde

Nach den weiteren Ausführungen des LSG Essen ist eine Beschwerde im Verfahren auf Festsetzung der PKH-Anwaltsvergütung gem. § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 7 RVG schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben. Gem. § 12b S. 1 RVG sind in Verfahren nach dem RVG die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die elektronische Akte und über das elektronische Dokument für dasjenige Verfahren anzuwenden, in dem der Rechtsanwalt die Vergütung erhält. Dies war hier das sozialgerichtliche Verfahren, das vor dem SG Gelsenkirchen begonnen hatte.

Damit waren hier – worauf das LSG Essen hingewiesen hat – für das vorliegende Beschwerdeverfahren die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die elektronische Akte und über das elektronische Dokument nach den §§ 65a bis 65d SGG anzuwenden. Danach sind ab dem 1.1.2022 vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, an das Gericht als elektronisches Dokument zu übermitteln. Dabei seien die zur Nutzung verpflichteten Personen – hier also das durch den Bezirksrevisor vertretene Land Nordrhein-Westfalen – verpflichtet, die entsprechenden Geräte vorzuhalten und deren Bedienung zu beherrschen (s. etwa OLG Hamm NJW-RR 2022, 1360).

3. Folgen eines Verstoßes gegen die Formvorschriften

Vorliegend hatte der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse die Beschwerde nicht als elektronisches Dokument eingereicht. Das LSG Essen hat darauf hingewiesen, dass Schriftsätze, die unter Verstoß gegen den in § 65d SGG normierten aktiven Benutzungszwang nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden sind, unwirksam seien. Bei einer Rechtsmittelschrift führe dies zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels (s. BGH NJW 2023, 456 und 1062; OLG Bamberg AGS 2023, 86 [Hansens] = JurBüro 2022, 667 für eine sofortige Beschwerde der Staatskasse gegen die Bewilligung von PKH). Dieser Formmangel sei auch später nicht geheilt worden. Das LSG hat außerdem darauf hingewiesen, dass der Bezirksrevisor keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 56 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 5 S. 1 RVG beantragt habe und er auch die Verfahrenshandlung, nämlich die Einlegung der Beschwerde vom 6.9.2022, nicht formwirksam nachgeholt habe.

III. Bedeutung für die Praxis

Der Entscheidung ist zuzustimmen.

1. Formerfordernisse des elektronischen Rechtsverkehrs beachten!

Auch im Bereich der Anwaltsvergütung sind zunehmend Rechtsbehelfe deshalb unzulässig, weil sie unter Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die elektronische Akte...

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