RVG VV Nrn. 4100, 7000 StPO § 464a Abs. 2 ZPO § 91

Leitsatz

  1. Die nach einem Anwaltswechsel entstandene weitere Grundgebühr (Nr. 4100 VV) ist als notwendige Auslage gegenüber der Staatskasse nur dann erstattungsfähig, wenn in der Person des Anwalts ein Wechsel eintreten musste.
  2. Der Verteidiger kann grundsätzlich die Erstattung der Kosten für die Kopien der gesamten Gerichtsakte verlangen.
  3. Im Falle eines Wechsels des Verteidigers ist die Kostenerstattung der Kopierkosten allerdings auf die einmalige Kopie der Akte beschränkt.
  4. Werden die Gerichtsakten nicht kopiert, sondern eingescannt, kann die Dokumentenpauschale ebenso wie bei einem Kopieren der Akte abgerechnet werden.

LG Kleve, Beschl. v. 11.8.2011 – 120 Qs 68/11

1 Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wurde vom AG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Auf seine Berufung wurde das Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, sodass die Kostenentscheidung dahingehend lautete, dass der Staatskasse die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die dem Angeklagten im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auferlegt wurden. Erstinstanzlich war der Beschwerdeführer von Rechtsanwalt M als Pflichtverteidiger vertreten, im Berufungsverfahren trat ausschließlich Rechtsanwalt K als Wahlverteidiger auf, die Beiordnung des Rechtsanwalts M nahm das LG daher zurück.

Im Kostenfestsetzungsverfahren setzte das AG statt der von Rechtsanwalt K beantragten 1.295,26 EUR lediglich einen Gesamtbetrag in Höhe von 1.014,36 EUR zuzüglich Zinsen fest, weil es die Grundgebühr für den Verteidiger (Nr. 4100 VV) sowie den Großteil der Kopierkosten (Nr. 7000 VV) abzog.

Mit der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die Grundgebühr sei aufgrund des Anwaltswechsels neu entstanden. Die Notwendigkeit des Anwaltswechsels ergebe sich bereits daraus, dass erstinstanzlich ein Urteil ohne Bewährung erging, gegen das der Verurteilte sich wenden wollte.

Die sofortige Beschwerde hatte nur teilweise Erfolg.

2 Aus den Gründen

1. Grundgebühr

Wie das AG im angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt hat, ist die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV zwar auch für Rechtsanwalt K entstanden, jedoch gegenüber der Staatskasse nicht erstattungsfähig.

Da die Grundgebühr die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall abdeckt und sich Rechtsanwalt K – ebenso wie zuvor sein Kollege Rechtsanwalt M – in den Fall einarbeiten musste, ist die Gebühr entstanden. Erstattungsfähig sind aber lediglich, wie auch im Kostenausspruch des LG zum Ausdruck gekommen ist, die notwendigen Auslagen. Welche Auslagen eines Beteiligten notwendig sind, bestimmt § 464a Abs. 2 StPO und verweist hinsichtlich der Vergütung eines Rechtsanwalts auf § 91 Abs. 2 ZPO. Nach § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO sind die Kosten mehrerer Rechtsanwälte nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. Vorliegend übersteigen die beantragten Gebühren die Kosten eines Rechtsanwalts, da die Grundgebühr zweimal angefallen ist. Diese ist daher nur dann erstattungsfähig, wenn in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste, dessen Ursache nicht in der Sphäre des Beschwerdeführers lag (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 64). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Seinen Pflichtverteidiger Rechtsanwalt M hatte der Beschwerdeführer im Ermittlungsverfahren selbst gewählt. Gründe für einen Anwaltswechsel in der Person eines der beiden Verteidiger sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer erstinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, kann nicht die Notwendigkeit eines Anwaltswechsels begründen. Das AG hatte die Strafe des einschlägig vorbestraften Beschwerdeführers deshalb nicht zur Bewährung ausgesetzt, weil dieser nach wie vor Rauschgift konsumierte und bis dahin noch keine professionelle Hilfe gesucht hatte, sodass das Gericht die Gefahr weiterer Straftaten gesehen hatte. Dafür, dass der Beschwerdeführer erstinstanzlich "schlecht verteidigt" wurde, bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

Aus der Rücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt M durch das LG folgt nichts anderes. Der Beschluss erging gem. § 143 StPO, wonach in derartigen Fällen die Rücknahme der Bestellung grundsätzlich zwingend ist, und war allein dadurch veranlasst, dass sich nunmehr Rechtsanwalt K. als Wahlverteidiger bestellt hatte mit dem Hinweis, dass im Berufungsverfahren die Verteidigung ausschließlich als Wahlverteidigung geführt werde.

2. Kopierkosten

Von den geltend gemachten Kopierkosten sind 120 Kopien zu erstatten. Beantragt wurden 41,05 EUR netto für 157 Scans. Nr. 7000 Nr. 1 Buchst. a) VV regelt die Auslagenerstattung für "Ablichtungen und Ausdrucke aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war". Die Dokumentenpauschale steht dem Verteidiger auch dann zu, wenn die Vervielfältigung durch E...

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