RVG VV Nrn. 1000, 1006
Leitsatz
Eine rein materiell-rechtliche Rücknahme im sozialgerichtlichen Verfahren in Form eines gerichtlichen "Vergleichs" erfüllt den Verzichtstatbestand in Nrn. 1006, 1000 VV und löst keine Einigungsgebühr aus.
LSG Thüringen, Beschl. v. 14.2.2011 – L 6 SF 1376/10 B
1 Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem SG streitig. In diesem Verfahren vertrat die Beschwerdeführerin die Klägerin. Diese bezog Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben v. 18.10.2006 wies die Beklagte, eine ARGE SGB II, die Klägerin darauf hin, sie habe in der Zeit v. 1.8. bis 31.10.2006 Leistungen i.H.v. 125,90 EUR zu Unrecht bezogen; es werde um Äußerung hierzu gebeten. Mit Bescheid vom gleichen Tag erging ein Änderungsbescheid. Die Klägerin legte gegen das Schreiben v. 18.10.2006 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid v.10.11.2006 als unzulässig verwarf. Dagegen erhob die Klägerin Klage. Mit Verfügung wies der Kammervorsitzende sie darauf hin, dass diese mangels Verwaltungsakt unzulässig sei. Hiernach zeigte die Beschwerdeführerin ihre Vertretung an und trug im Ergebnis vor, Gegenstand der Klage seien auch die inhaltlich unrichtigen Änderungsbescheide v. 18. u. 24.10.2006. In der 40 Minuten dauernden Sitzung gewährte das SG der Klägerin Prozesskostenhilfe und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Der Vorsitzende wies sodann darauf hin, dass er mangels Verwaltungsakt Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage habe. Weiter heißt es dann in der Sitzungsniederschrift: "Auf Vorschlag des Gerichts schließen die Beteiligten folgenden Vergleich: Die Beklagte verpflichtet sich, den Bescheid v. 18.10.2006 zu überprüfen. Die Klägerin nimmt ihre Klage zurück. Die Kosten werden gegenseitig aufgehoben. Die Beteiligten erklären übereinstimmend, dass sich der Rechtsstreit damit erledigt hat."
In ihrer Kostenrechnung machte die Beschwerdeführerin u.a. auch eine Einigungsgebühr geltend. Die Urkundsbeamtin setzte die Einigungsgebühr ab, da die Voraussetzungen der Einigungs- oder Erledigungsgebühr mangels qualifizierter anwaltlicher Mitwirkung bei der Erledigung nicht vorlägen. Dagegen hat die Beschwerdeführerin zunächst Erinnerung eingelegt, die das SG zurückgewiesen und ausgeführt hat, bezüglich der Einigungsgebühr erscheine der Kammer die notwendige Mitwirkung nicht wahrscheinlich. Ein materiell-rechtlicher Vergleich sei nicht geschlossen worden. Sein Zweck habe allein darin gelegen, ein abweisendes Urteil wegen Unzulässigkeit zu vermeiden. Dagegen haben die Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt. Für eine kausale Mitwirkung genüge es, dass der Anwalt dem Mandanten rate, ein Einigungsangebot anzunehmen. Ob dieses sich auf Zahlung eines Geldbetrages oder auf Rücknahme richte, sei für das Vorliegen der Einigung nicht von Relevanz. Der Klägerin sei der Vergleichsvorschlag des Gerichts kurz erläutert und seine Annahme empfohlen worden. Die Beweislast für eine fehlende Mitwirkung trage der Beschwerdegegner. Nach dem Beschluss des Thüringer LSG v. 18.4.2001 – L 6 B 2/01 SF sei in Ermangelung entgegengesetzter Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der bei Vertragsabschluss anwesende Rechtsanwalt zumindest beratend tätig gewesen sei.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Eine Erledigungsgebühr nach den Nrn. 1006, 1002 VV kommt nicht in Betracht. Sie entsteht in Verfahren nach § 183 SGG, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Ein Anspruch scheitert hier bereits daran, dass sich das Verfahren nicht nach Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts durch anwaltliche Mitwirkung erledigt hat. Die Klage richtete sich nach übereinstimmender Beurteilung der Beteiligten und des Kammervorsitzenden im Termin nicht gegen einen Verwaltungsakt, sondern gegen eine Anhörung. Damit fehlt es auch an der Aufhebung oder Abänderung eines angefochtenen Verwaltungsakts.
Dem steht auch nicht die Verpflichtung der Beklagten entgegen, den Bescheid v. 18.10.2006 zu überprüfen. Eine Überprüfung nach § 44 SGB X kann zwar später zur ganzen oder teilweisen Rücknahme eines Verwaltungsakts führen, muss dies jedoch nicht. Die Erledigung des Rechtsstreits durch den "Vergleich" war gerade nicht die Folge einer Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts.
Nicht zu erstatten ist eine Einigungsgebühr nach den Nrn. 1006, 1000 VV. Diese Gebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, er beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Anm. Abs. 1 S. 1 zu Nr. 1000 VV). Die Gebühr kann auch bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts in Betracht kommen, soweit über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann (Anm. Abs. 4 zu Nr. 1000 VV), so bei Ermessensentscheidungen (§ 53 Abs. 2 SGB X) und wenn Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruc...