RVG VV 1009
Leitsatz
Behält der Anwalt Fremdgeld ein, weil er die eingegangene Zahlung auf vermeintliche Vergütungsansprüche verrechnet, und wird er dann auf Auszahlung dieses Betrages verurteilt, kann er für die Auszahlung keine Hebegebühr verlangen.
KG, Hinweisbeschl. v. 9.8.2012 – 15 U 31/11
1 Sachverhalt
Der beklagte Anwalt war für die Klägerin tätig und hatte in diesem Zusammenhang auch Fremdgelder eingezogen. Die eingezogenen Fremdgelder verrechnete er zum Teil mit vermeintlichen Vergütungsansprüchen, über die er gleichzeitig Abrechnung erteilte.
Die Klägerin war dagegen der Auffassung, dass dem Anwalt keine weitere Vergütung mehr zustehe, sondern er seine gesamten Vergütungsansprüche bereits erhalten habe. Daraufhin hat der Kläger auf Auszahlung geklagt. Das LG hat die vom Beklagten geltend gemachten Vergütungsansprüche nur zu einem geringen Teil für begründet erachtet und ihn im Übrigen zur Herauszahlung des verrechneten Fremdgeldes verpflichtet.
Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte weiterhin die Klageabweisung. Dabei macht er u.a. geltend, dass er nicht zur vollen Herauszahlung verpflichtet sein könne. Wenn er verpflichtet sei, noch einen Teil des bei ihm eingegangenen Fremdgeldes auszuzahlen, weil ihm keine Vergütungsansprüche zustünden, mit denen er aufrechnen könne, dann müsse ihm insoweit für die Auszahlung jedenfalls eine Hebegebühr zustehen, die er vorab nach Anm. Abs. 4 zu Nr. 1009 VV entnehmen dürfe.
Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass es die Berufung für unbegründet erachte und auch keinen Anspruch auf Einbehalt einer Hebegebühr sehe.
2 Aus den Gründen
Der Berufungskläger kann Hebegebühren für die Auszahlung der den Klägern zustehenden Entschädigungssummen nicht verlangen, da er die Summen gerade nicht ausgezahlt hat. Die Hebegebühr nach Nr. 1009 VV stellt eine Entschädigung des Rechtsanwalts für die verantwortungsvolle und aus dem Rahmen seiner sonstigen Tätigkeiten herausfallende Auszahlung und die damit verbundene Verwaltung von Geldern dar. Entnehmen darf sich der Rechtsanwalt die Gebühr erst dann, wenn er das Geld beim Mandanten abliefert ("bei der Ablieferung", siehe Anm. Abs. 2 S. 2 zu Nr. 1009 VV). Vorliegend bestreitet der Beklagte aber gerade seine Ablieferungspflicht. Soweit er zur Herausgabe verurteilt wird, leistet er – wenn er zahlt – auf eine eigene, ihm mit dem Urteil auferlegte Pflicht, für deren Erfüllung er eine Hebegebühr nicht mehr verlangen kann. Jedenfalls kann sie nicht vorab der Klagesumme abgezogen werden.
3 Anmerkung
Die Entscheidung des KG ist unzutreffend und lässt sich auch aus dem Gesetz nicht herleiten. Sie ist offenbar lediglich dadurch motiviert, dass das Gericht wegen eines solch geringfügigen Betrags nicht mündlich verhandeln wollte und einen Weg gesucht hat, das Begehren im Wege des § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zu erledigen.
Der gesetzliche Wortlaut ist eindeutig: Der Anwalt erhält für die Auszahlung von Geldern eine Hebegebühr.
Diese Gebühr darf er vorab der auszuzahlenden Summe entnehmen. Es handelt sich insoweit um ein besonderes Vorschussrecht.
Dass dem Anwalt die Hebegebühr dann nicht zustehen soll, wenn er zur Herausgabe verurteilt wird, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
Es mag in bestimmten Fällen möglicherweise treuwidrig sein, wenn der Anwalt eine Hebegebühr berechnet, etwa wenn er Fremdgelder veruntreut hat und zur Herauszahlung verurteilt wird. Geht der Anwalt aber guten Glaubens davon aus, dass er mit eigenen Vergütungsansprüchen aufrechnen kann, bestreitet er also seine Auszahlungspflicht nach Grund und Höhe nicht, sondern wendet er nur eigene Vergütungsansprüche ein, dann kann dies doch nicht zum Wegfall der Hebegebühr führen, wenn anschließend ein Streit über die Höhe der Vergütung geführt wird, bei dem der Anwalt unterliegt. Dass der Anwalt die Aufrechnung mit Vergütungsansprüchen erklärt und sich die Aufrechnung im Nachhinein als unberechtigt erweist, entbindet ihn nämlich nicht davon, das Geld ordnungsgemäß zu verwahren und verzinslich auszuzahlen. Dass der Anwalt mit der Auszahlung eine eigene Pflicht erfüllt, ist der Auszahlung von Fremdgeldern immer immanent. Ob er dazu verurteilt worden ist oder nicht, ist insoweit unerheblich.
Norbert Schneider