BRAGO §§ 31 Abs. 1 Nr. 4, 48 RVG VV Vorbem. 3 Abs. 3
Leitsatz
- Bei der mündlichen Anhörung eines Sachverständigen in einem selbstständigen Beweisverfahren entsteht i.d.R. keine Erörterungsgebühr gem. § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO, soweit nicht auf den Abschluss eines Vergleichs gerichtete Erörterungen stattfinden.
- Insbesondere stellen – auch kontroverse – Ausführungen von Parteivertretern keine Erörterung i.S.d. genannten Gebührentatbestands dar, wenn sie dazu dienen, den Grund für bestimmte an einen Sachverständigen gerichtete Fragen darzustellen. Diese Tätigkeit des Rechtsanwalts wird durch die Beweisgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO mit abgegolten.
OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.1.2013 – 13 W 2126/12
1 Sachverhalt
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob für die anwaltliche Tätigkeit im Termin zur Anhörung eines Sachverständigen im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens neben einer 13/10-Verfahrensgebühr und einer 10/10-Beweisgebühr zusätzlich eine 10/10-Erörterungsgebühr angefallen ist.
Die Kläger haben in ihrem Kostenfestsetzungsantrag unter anderem eine "Verhandlungsgebühr" für das selbstständige Beweisverfahren angesetzt. Das LG hat im Kostenfestsetzungsbeschluss das Entstehen einer derartigen Gebühr ebenso verneint wie die Voraussetzungen einer von den Klägern gemeinten Erörterungsgebühr. Eine derartige Gebühr entstehe nur, wenn die Erörterung in einem Termin im Rahmen eines Versuchs zur gütlichen Beilegung stattgefunden habe, nicht jedoch, wenn – wie vorliegend – der Termin nur zur Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen bestimmt worden sei.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagtenvertreters, der das LG nicht abgeholfen hat, wobei es seine Begründung dahingehend ergänzt hat, dass sich aus dem Sachvortrag beider Parteien im Beschwerdeverfahren nichts darüber ergebe, dass in dem Termin ein Versuch zur gütlichen Beilegung unternommen worden sei.
Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Das LG hat im angegriffenen Beschluss zu Recht zugrunde gelegt, dass eine Erörterungsgebühr nicht entstanden ist.
a) Nach § 61 Abs. 1 S. 1 RVG ist für die streitgegenständliche Kostenfestsetzung die BRAGO anzuwenden, da ein unbedingter Auftrag zur Vertretung im selbstständigen Beweisverfahrens vor dem 1.7.2004 erteilt worden war.
aa) Nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO erhält der Rechtsanwalt für die Erörterung der Sache, auch im Rahmen eines Versuchs zur gütlichen Beilegung, eine Gebühr (Erörterungsgebühr).
Bereits aus den Motiven (BT-Drucks 7/3243 S. 8) ergibt sich, dass der Gesetzgeber dem Rechtsanwalt die Erörterungsgebühr nicht lediglich für eine interne Prüfung der Argumente eines richterlichen Hinweises gewähren wollte. Der dortigen Begründung für die Erforderlichkeit einer eigenständigen Erörterungsgebühr, wonach bei einzelnen Gerichten die Praxis bestehe, das Sach- und Streitverhältnis mit den Parteien und Anwälten ausgiebig vor der förmlichen Stellung der Anträge und damit vor Beginn der mündlichen Verhandlung zu erörtern, wodurch die Verhandlungsgebühr nicht anfalle, obwohl die Erörterung der Sache nicht weniger Mühe mache als eine mündliche Verhandlung, ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber für den Anfall der Erörterungsgebühr eine ausdrückliche Auseinandersetzung zumindest eines der Prozessbevollmächtigten mit der vom Gericht dargelegten Sach- und Rechtslage als erforderlich angesehen hat. Von einer auf die mündliche Verhandlung bezogenen Mühewaltung des Rechtsanwalts, die dem Verhandeln i.S.v. § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO gleichkommen soll, kann rein begrifflich erst gesprochen werden, wenn es über eine einseitige Darlegung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht hinaus zu einer aktiven Auseinandersetzung hiermit durch zumindest eine der Parteien gekommen ist. Die Erörterung muss dem Verhandeln i.S.v. § 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO gleichkommen (BGH NJW-RR 2004, 1438).
Mit der Erörterungsgebühr sollte also im Ergebnis kein weiterer Gebührentatbestand geschaffen, sondern nur dem Rechnung tragen werden, dass die "Verhandlung" im gerichtlichen (Hauptsache-)Termin in der gerichtlichen Praxis nicht selten vor Antragstellung erfolgt und damit keine Verhandlung i.S.d. Verhandlungsgebühr vorlag, obwohl faktisch sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch der Zielrichtung eine identische Tätigkeit entfaltet wurde.
bb) Nach § 48 BRAGO erhält der Rechtsanwalt im selbstständigen Beweisverfahren die in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren. Demnach kann grundsätzlich auch in diesem Verfahren die Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO entstehen.
Im selbstständigen Beweisverfahren kann allerdings – anders als in den Fällen, auf welche § 31 BRAGO unmittelbar anzuwenden ist – eine Entscheidung des Gerichts in der Sache nicht herbeigeführt werden. Für die Erörterung gerichtlicher Rechtsansichten im Hinblick auf eine gerichtliche Entscheidung wird also von vorneherein kaum Anlass bestehen. Das Gericht ist im selbstständigen Beweisverfahren nicht einmal zur Prüfung berechtigt, ob das Beweismittel für den Hauptprozess überhaup...