RVG VV Nr. 3200 ZPO § 91 Abs. 1 S. 1, 2. Hs.
Leitsatz
Wird der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels bereits vor Zustellung der Rechtsmittelbegründung gestellt, das Rechtsmittel aber dann begründet, ist eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV unabhängig davon erstattungsfähig, ob das Verfahren später durch Rücknahme, durch Sachentscheidung oder in sonstiger Weise beendet wird (Abweichung von BGH, Beschl. v. 3.7.2007, VI ZB 21/06, NJW 2007, 3723).
BGH, Beschl. v. 23.10.2013 – V ZB 143/12
1 Sachverhalt
Die Klägerin hatte gegen das ihre Klage abweisende Urteil des LG Berufung eingelegt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zeigte deren Vertretung im Berufungsverfahren an und kündigte den Antrag auf Zurückweisung der Berufung an. Nach Eingang der Berufungsbegründung wies das OLG gem. § 522 Abs. 2 ZPO darauf hin, dass es beabsichtige, die Berufung zurückzuweisen. Daraufhin nahm die Klägerin die Berufung zurück.
Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten hat das LG die von der Klägerin an die Beklagte zu erstattenden Kosten für die Berufungsinstanz aus einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV festgesetzt. Das OLG hat die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte die Klägerin erreichen, dass dem festzusetzenden Erstattungsanspruch nur eine 1,1-fache Verfahrensgebühr wegen vorzeitiger Beendigung des Auftrags (Nr. 3201 VV) zugrunde gelegt wird.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts hätte ein nach Zugang der Begründungsschrift eingereichter Zurückweisungsantrag eine erstattungsfähige 1,6-fache Gebühr ausgelöst. Davon ausgehend müsse auch der verfrühte Zurückweisungsantrag der Beklagten auf diesen späteren Zeitpunkt fortwirken; denn es liefe auf eine unnötige Förmelei hinaus, von dem Rechtsmittelgegner zu erwarten, dass er nach Eingang der Rechtsmittelbegründung nochmals einen Schriftsatz mit einem Gegenantrag bei Gericht einreicht, um die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr herbeizuführen.
Der BGH hat die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen
Zu Recht haben die Vorinstanzen für die Vertretung der Beklagten in dem Berufungsverfahren die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV als erstattungsfähig angesehen.
1. Durch die Einreichung des Schriftsatzes, mit dem die Zurückweisung der Berufung beantragt wurde, ist nach. Nr. 3200 VV i.V.m. Vorbem. 3 Abs. 2 RVG eine 1,6-fache Verfahrensgebühr entstanden.
Nach Nr. 3201 Nr. 1 VV ermäßigt sich die Verfahrensgebühr zwar bei einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags, wozu auch die Beendigung durch Rücknahme der Berufung gehört, auf eine 1,1-fache Gebühr. Hat der Rechtsanwalt aber – wie hier – bereits einen Schriftsatz eingereicht, der die Sachanträge oder einen Sachvortrag enthält, kommt eine vorzeitige Beendigung des Auftrags und damit eine Ermäßigung der Gebühr nicht mehr in Betracht (BGH, Beschl. v. 1.4.2009 – XII ZB 12/07, NJW 2009, 2220; Beschl. v. 2.10.2008 – I ZB 111/07, NJW-RR 2009, 859).
2. Hiervon ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob die Beklagte diese Kosten von der Klägerin als der unterliegenden Rechtsmittelführerin erstattet verlangen kann. Dies setzt nach § 91 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 ZPO voraus, dass der Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Die Erstattung der aufgewendeten Kosten kann eine Partei dabei nur insoweit erwarten, als sie der ihr aus dem Prozessrechtsverhältnis obliegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (BGH, Beschl. v. 1.4.2009 – XII ZB 12/07, NJW 2009, 2220; Beschl. v. 3.7.2007 – VI ZB 21/06, NJW 2007, 3723).
a) Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei darf bereits vor dessen Begründung einen Rechtsanwalt beauftragen und die entstandenen Kosten im Falle ihres Obsiegens nach § 91 Abs. 1 ZPO vom Gegner erstattet verlangen. Allerdings ist ein die 1,6-fache Verfahrensgebühr auslösender Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels grundsätzlich nicht notwendig, sofern der Rechtsmittelführer noch keinen Antrag und keine Rechtsmittelbegründung eingereicht hat. Denn im Normalfall besteht kein Anlass für den Rechtsmittelgegner, mit der Verteidigungsanzeige seines Prozessbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels anzukündigen. Der Rechtsmittelgegner kann sich erst nach Vorliegen der Rechtsmittelbegründung mit Inhalt und Umfang des Angriffs auf die Entscheidung der Vorinstanz sachlich auseinandersetzen und durch einen entsprechenden Gegenantrag sowie dessen Begründung das Verfahren fördern. Es ist nicht ersichtlich, welche Prozessförderung von einem Antrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels ausgehen könnte, solange mangels einer Rechtsmittelbegründung eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels nicht möglich ist (BGH, Beschl. v. 1.4. 2009 – XII ZB 12/07, NJW 2009, 2220; Senat, Beschl. v. 2.7.2009 – V ZB 54/09, NJW 2009, 3102; jeweils m.w.Nachw.).
b) Hier ist jedoch – wie das Beschwerdegericht zu Recht annimmt – eine andere Beurteilung deshalb geboten, weil die ...