Leitsatz
Die volle Verfahrensgebühr ist auch dann zu erstatten, wenn der Rechtsanwalt in Unkenntnis der bereits erfolgten Rücknahme des Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid noch eine Anspruchsbegründung einreicht.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 16.10.2014 – 9 W 18/14
1 Sachverhalt
Die Klägerin hatte am 26.7.2013 gegen die Beklagte einen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Nachdem die Beklagte hiergegen Einspruch eingelegt und das Mahngericht das Verfahren an das in dem Mahnbescheid als Prozessgericht bezeichnete LG abgegeben hatte, hat dieses mit Verfügung v. 27.8.2013 die – in dem Mahnverfahren nicht anwaltlich vertretene – Klägerin aufgefordert, den Anspruch binnen zwei Wochen zu begründen. Mit einem an das AG gerichteten Schriftsatz v. 11.11.2013 hat die Beklagte ihren Widerspruch (gemeint war wohl: den Einspruch) gegen den Vollstreckungsbescheid zurückgenommen. Das AG hat den Schriftsatz an das LG weitergeleitet, wo am 22.11.2013 die Übermittlung einer Durchschrift an den "Klägervertreter" verfügt worden ist. Mit Schriftsatz v. 29.11.2013 – bei dem LG eingegangen am 3.12.2013 – hat sich die Anwaltskanzlei ... pp. zu Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestellt und den Anspruch begründet. Das LG hat mit Verfügung v. 3.12.2013 nochmals die Übersendung einer Kopie des Schriftsatzes vom 11.11.2013 an den Klägervertreter verfügt. Auf den Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin v. 10.12.2013 hat es der Beklagten die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Durch den angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Rechtspflegerin des LG die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 1.459,67 EUR festgesetzt. Es hat auf Seiten der Klägerin eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) als erstattungsfähig angesehen.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, die meint, die Verfahrensgebühr sei aufgrund der Rücknahme des Einspruchs nicht mehr angefallen.
Die Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegen getreten. Sie trägt vor, ihre Prozessbevollmächtigten hätten am 12.9.2013 den Auftrag erhalten, die Anspruchsbegründung zu fertigen. Als diese am 29.11.2013 bei Gericht eingereicht worden sei, habe der sachbearbeitende Rechtsanwalt nicht gewusst, dass der Einspruch bereits zurückgenommen worden war.
Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 104 Abs. 3 S. 1, 569 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
In der Sache hat das Rechtsmittel indes keinen Erfolg. Zu Recht hat die Rechtspflegerin die von der Beklagten zur Erstattung angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) festgesetzt.
Nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV entsteht die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Sie ist daher im Streitfall jedenfalls dadurch entstanden, dass die Rechtsanwälte ... pp. den Schriftsatz vom 29.11.2013 bei dem LG eingereicht haben, in dem sie sich zu Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestellt und den in dem Mahnverfahren geltend gemachten Anspruch begründet haben. Dass die Beklagte zuvor bereits am 11.11.2013 den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid zurückgenommen hatte, ist für den Anfall der Gebühr ohne Bedeutung.
Nach der in der Rspr. und im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung, der sich der Senat anschließt, fällt die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV auch dann an, wenn der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nach Rücknahme der Klage noch auf diese erwidert, sofern ihm die Rücknahme zum Zeitpunkt der Einreichung seines Schriftsatzes nicht bekannt war und er hiervon auch keine Kenntnis haben musste; eine Ermäßigung auf eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV findet in diesem Fall nicht statt (vgl. OLG Hamm NJOZ 2013, 825; OLG Celle NJOZ 2010, 2421; OLG Naumburg JurBüro 2003, 419; OLG Hamburg MDR 1998, 561; OLG Köln JurBüro 1995, 641; MüKo-ZPO/Schulz, 4. Aufl., § 91 Rn 140; Zöller/Herget, ZPO, § 91 Rn 13 Stichwort "Klagerücknahme"; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., 3101 VV Rn 12; Hartmann, KostG, 44. Aufl., VV 3101 Rn 34 m.w.Nachw.; zur Berufungsrücknahme: OLG München JurBüro 2011, 90, 91; KG NJW 1975, 125). Zwar war der dem Anwalt erteilte Auftrag zur Verteidigung gegen die Klage bei Einreichung der Klageerwiderung bereits beendet, weil sich die Angelegenheit durch die Rücknahme der Klage erledigt hatte (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, a.a.O., Rn 10). Nach § 674 BGB gilt der Auftrag jedoch gegenüber dem Anwalt als fortbestehend, bis dieser von dem Erlöschen Kenntnis erlangt oder das Erlöschen kennen muss.
Ebenso verdient der Rechtsanwalt die volle Verfahrensgebühr, wenn er in Unkenntnis der bereits erfolgten Rücknahme des Einspruchs gegen einen Vollstreckungsbescheid noch eine Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 700 Abs. 3 S. 2 ZPO) einreicht. Ein Unterschied gegenüber den Fällen der Klagerücknahme ergibt sich nur dadurch, dass der Rechtsstreit bei der Rücknahme des Einspruchs durch eine Prozesshandlung des Beklagten been...