Leitsatz
- Bei dem Anspruch auf Rückzahlung nicht verbrauchter Gerichtskosten handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch i.S.v. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG, der aufgrund einer Selbstbeteiligung quotenbevorrechtigt ist. Es handelt sich vielmehr um einen einfachen Abrechnungsanspruch, der nicht unter § 86 Abs. 1 VVG fällt.
- § 86 Abs. 1 VVG erfasst lediglich Schadensersatzansprüche. Der Anspruch auf Rückzahlung nicht verbrauchter Gerichtskosten gegen die Gerichtskasse ist kein solcher Schadensersatzanspruch.
LG Heilbronn, Urt. v. 30.7.2015 – KO 4 S 5/15
1 Aus den Gründen
Das AG hat richtig entschieden. Die streitbefangenen 45,60 EUR stehen dem beklagten Versicherer zu (§ 812 Abs. 1 BGB).
Bei dem Anspruch auf Rückzahlung nicht verbrauchter Gerichtskosten handelt es sich nicht um einen Schadensersatzanspruch i.S.v. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG, der aufgrund einer Selbstbeteiligung quotenbevorrechtigt gewesen wäre. Es handelt sich vielmehr um einen einfachen Abrechnungsanspruch, der nicht unter § 86 Abs. 1 VVG fällt. Infolge der Gerichtskostenermäßigung nach dem Vergleich im Ausgangsprozess erwarb der klagende Versicherungsnehmer gar keinen "Ersatzanspruch gegen einen Dritten". § 86 Abs. 1 VVG erfasst lediglich Schadensersatzansprüche (Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., 2014, § 86 Rn 12). Der Erstattungsanspruch gegen die Gerichtskasse ist kein solcher. Letztlich reduzierte sich lediglich nachträglich der Umfang der vom Versicherer vertragsgemäß zu erbringenden Leistungen (u.a. § 5 II lit. c) ARB 2000), so dass der Versicherer die von ihm erbrachten Zuvielzahlungen zurückverlangen kann (NJW-Spezial 2011, 381). Der gegenteiligen Ansicht des AG Wetzlar (AGS 2007, 115) und des AG Köln (AGS 2007, 379) schließt sich die Kammer mit dem AG Kempten (AGS 2011, 363) nicht an.
Im Ergebnis verweigerte der Versicherer zu Recht die Anweisung weiterer 45,60 EUR auf den Kostenfestsetzungsbeschluss. Der Kläger hatte zuvor unberechtigt 45,70 EUR an rückerstatteten Gerichtskosten zu Lasten der Beklagten mit seinem Selbstbehalt verrechnet.
2 Anmerkung
In der Rechtsschutzversicherung gilt das sogenannte Quotenvorrecht (§ 86 Abs. 1 S. 2 VVG). Das bedeutet, dass sich der Versicherungsnehmer an Kostenerstattungsansprüchen so lange bedienen darf, bis sämtliche vom Versicherungsschutz nicht gedeckten Kosten (insbesondere Selbstbeteiligung, Reisekosten des Anwalts, Parteikosten) ausgeglichen sind. Erst hiernach geht der Kostenerstattungsanspruch auf den Versicherer über.
Beispiel
Der Mandant ist rechtsschutzversichert mit einer Selbstbeteiligung von 300,00 EUR. Er erhält Deckungsschutz für eine Klage über 10.000,00 EUR. Der Beklagte wird verurteilt, 8.000,00 EUR zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens werden zu 20% dem Kläger und zu 80% dem Beklagten auferlegt. Nach Ausgleichung der Kosten werden zugunsten des Klägers 1.200,00 EUR gegen den Beklagten festgesetzt.
Zwar geht der Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten nach § 86 Abs. 2 S. 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer über; allerdings darf das nicht zum Nachteil des Klägers geschehen (§ 86 Abs. 1 S. 2 VVG). Daher verbleibt der Kostenerstattungsanspruch in Höhe der Selbstbeteiligung von 300,00 EUR beim Kläger und geht nur in Höhe von 900,00 Euro auf den Rechtsschutzversicherer über.
Voraussetzung für die Anwendung des Quotenvorrechts ist aber, dass ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Gegner oder Dritte besteht (in Straf- und Bußgeldsachen gegen die Landeskasse). Zwar wird die Auffassung vertreten, dass sich das Quotenvorrecht auch auf überzahlte und damit zurück zu gewährende Gerichtskosten erstrecke. Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend, da es sich insoweit nicht um einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Gegner handelt, sondern um ein Abrechnungsguthaben gegen die Landeskasse.
Norbert Schneider
AGS 2/2016, S. 104