RVG VV Nr. 3508; RVG §§ 32 Abs. 1, 33
Leitsatz
Hat der Rechtsanwalt auftragsgemäß gegen ein Berufungsurteil vollumfänglich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und diese aufgrund einer Rechtsprüfung nachfolgend beschränkt, richtet sich der Gegenstandswert für die Verfahrensgebühr nach der vollen Beschwer seines Mandanten.
BGH, Urt. v. 14.12.2017 – IX ZR 243/16
1 Sachverhalt
Die von der Klägerin im Vorprozess erhobene Klage auf Zahlung von 160.370,04 EUR war vom OLG abgewiesen worden. Gleichzeitig war die Klägerin auf die Widerklage hin zur Zahlung von 57.651,86 EUR verurteilt worden. Sie beauftragte daraufhin den Beklagten dieses Rechtsstreits, einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt, gegen das Urteil des OLG uneingeschränkt Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen.
Der Beklagte hat daraufhin die Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht und später nach Prüfung der Sach- und Rechtslage der Klägerin empfohlen, die Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Klage lediglich wegen eines Betrages i.H.v. 104.874,97 EUR durchzuführen, was dann auch geschah.
Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH zurückgewiesen und der Streitwert auf 162.526,83 EUR festgesetzt (verbliebene Klage + Widerklage).
Die Klägerin, die an den Beklagten bereits vorschussweise eine 2,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3506 VV) aus dem vollen Wert der Beschwer (218.021,90 EUR) gezahlt hatte, verlangt (soweit hier noch von Bedeutung) die teilweise Rückerstattung der von ihr gezahlten Vergütung. Sie ist der Auffassung, dass der Beklagte die 2,3-Verfahrensgebühr für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nur nach dem geringeren gerichtlich festgesetzten Streitwert berechnen dürfe. Der Beklagte war dagegen der Auffassung, dass er die 2,3-Gebühr aus dem vollen Wert der Beschwer verdient habe. Er sei beauftragt worden, gegen das Urteil uneingeschränkt Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben. Erst nachdem dies geschehen sei, habe er den Auftrag erhalten, die Beschwerde zu beschränken. Zu diesem Zeitpunkt sei die volle 2,3-Verfahrensgebühr aber bereits angefallen. Das OLG hatte der Klage teilweise stattgegeben. Die zugelassene Revision hatte Erfolg und führte zur Abweisung der Klage.
2 Aus den Gründen
Aufgrund der uneingeschränkten Zulassung durch das Berufungsgericht sind beide Revisionen zulässig. Die Revision des Beklagten hat Erfolg, während die Revision der Klägerin zurückzuweisen ist.
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Klage sei – auch auf der Grundlage der Rechtsansicht des Beklagten – i.H.v. 542,80 EUR begründet und die Berufung des Beklagten i.H.v. 42,80 EUR unbegründet. Der Beklagte habe seine Gebühr aus dem Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens vor dem OLG von 265.312,71 EUR errechnet. Die dortige Beschwer der Klägerin belaufe sich jedoch mit Rücksicht auf die Klageforderung über 160.370,04 EUR und die Widerklageforderung von 57.651,86 EUR auf lediglich 218.021,90 EUR. Bei Ansatz einer 2,3-Gebühr aus diesem Streitwert errechne sich ein Betrag von 4.448,20 EUR, so dass der Klägerin im Blick auf ihre Zahlung von 4.991,00 EUR jedenfalls ein Erstattungsanspruch über 542,80 EUR zustehe.
Die Klage sei i.H.v. weiteren 421,60 EUR begründet, weil der Beklagte nur einen Gebührenanspruch über insgesamt 4.026,60 EUR habe. Es sei nicht auf einen der Beschwer der Klägerin entsprechenden Gegenstandswert von 218.021,90 EUR, sondern auf den von dem BGH festgesetzten Streitwert von 162.526,83 EUR abzustellen. Dieser Wert sei gem. § 32 RVG maßgeblich. Die zunächst unbeschränkt eingelegte und erst mit der Begründung beschränkte Nichtzulassungsbeschwerde habe nicht zur Folge, dass der Beklagte im gerichtlichen Verfahren über den dort festgesetzten Streitwert hinaus tätig geworden sei. Die umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten der Beschwerde sei nicht im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens erfolgt.
Der Beklagte habe grundsätzlich keinen Anspruch auf eine Prüfgebühr nach Nr. 2100 VV, weil ihm kein isolierter, der Rechtsmittelprüfung vorgeschalteter Prüfauftrag erteilt worden sei. Diese nur durch eine ausdrückliche Gebührenvereinbarung vermeidbare Rechtsfolge erscheine indes unbillig und nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechend, der keine bewusste Entscheidung getroffen habe, dass der Anwalt für den "überschießenden" Teil der Prüfung keine Vergütung erhalte. Auch der Mandant, der sofort den Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels erteile, erwarte eine umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten. Dieses Ergebnis sei aus der Sicht des Mandanten nicht unbillig, weil er redlicherweise nicht davon ausgehen dürfe, dass die Beratungsleistung des Rechtsanwalts insoweit kostenfrei erfolge.
Damit errechne sich eine 2,3-Verfahrensgebühr nach Nrn. 3506, 3508 VV aus 162.526,83 EUR über 3.822,60 EUR und eine 0,75-Gebühr nach Nr. 2100 VV für die Prüfung der Erfolgsaussichten aus 218.021,90 EUR über 1.450,50 EUR. Davon sei eine 0,75-Gebühr für die Prüfung der Erfolgsaussichten aus 162.526,83 EUR, also ein Betrag über 1.246,50 EUR, abzuziehen. Damit ergebe sich eine Gesamtforderung i.H.v. 4.026...