VwGO § 84 Abs. 1 S. 1; RVG VV Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3104
Leitsatz
Der Gebührentatbestand der Anm. Abs. 1 Nr. 2 zu Nr. 3104 VV ist einschränkend dahin auszulegen, dass eine mündliche Verhandlung im Sinne dieser Vorschrift nur dann beantragt werden kann, wenn ein solcher Antrag nicht nur statthaft, sondern auch nicht offensichtlich unzulässig wäre.
VG Karlsruhe, Beschl. v. 7.12.2017 – A 8 K 12574/17
1 Aus den Gründen
Die Entscheidung erfolgt durch die Berichterstatterin, da das Gericht über Erinnerungen gegen Kostenfestsetzungsbeschlüsse in derselben Besetzung wie im Erkenntnisverfahren entscheidet (Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 32. EL. 2016, § 165 Rn 9). Der Gerichtsbescheid v. 8.2.2017 ist mit Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin anstelle der Kammer ergangen.
Die nach §§ 165, 151 VwGO zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Erinnerung des Erinnerungsführers ist unbegründet. In dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss wurde die Terminsgebühr zu Recht nicht festgesetzt.
Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV entsteht eine Terminsgebühr, wenn nach § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO oder § 105 Abs. 1 S. 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann (sog. fiktive Terminsgebühr).
Zwar ist über die am 10.8.2016 erhobene Klage durch Gerichtsbescheid entschieden worden. Jedoch liegt die weitere Voraussetzung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV, dass der Erinnerungsführer mündliche Verhandlung hätte beantragen können, nach Auffassung der Berichterstatterin nicht vor, wenn ein solcher Antrag bei einem vollständigen Obsiegens mangels Beschwer offensichtlich unzulässig ist.
Im vorliegenden Fall wäre die Beantragung einer mündlichen Verhandlung zwar gem. § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO statthaft gewesen. Entgegen einer Auffassung in der Rspr. lässt sich der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV nicht entnehmen, diese Vorschrift gelte nur für die Fälle des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, nach dem die Beteiligten nur innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragen können, wenn ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (so VG Regensburg, Beschl. v. 27.6.2016 – RO 9 M 16.929, juris Rn 12 [= AGS 2016, 461]). In der Begründung zum Gesetzesentwurf (BT.-Drs. 17/11471(neu), 148) heißt es zwar wörtlich:
"Im Fall des Gerichtsbescheids sowohl im Verfahren nach der VwGO als auch im Verfahren nach dem SGG liegt es allein in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, das Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu beenden. Die Beteiligten können in beiden Verfahrensarten nur dann eine mündliche Verhandlung beantragen, wenn gegen den Gerichtsbescheid kein Rechtsmittel gegeben ist. Das Entstehen der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat, soll daher auf diese Fälle beschränkt werden."
Dies hat im Wortlaut der Norm jedoch keinen Niederschlag gefunden. Vielmehr wird in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV auf den gesamten § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO Bezug genommen. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut kommt es darauf an, dass eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht nur im Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, sondern zumindest auch in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwGO gegeben (vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 9.11.2017 – 1 KO 8346/17, juris Rn 22; VG Greifswald, Beschl. v. 23.10.2017 – 3 E 2190/17 HGW, juris Rn 5; VG Berlin, Beschl. v. 7.9.2017 – 14 KE 29.17, juris Rn 4 [= AGS 2017, 506]; VG Oldenburg, Beschl. v. 27.7.2017 – 1 E 5687/17, juris Rn 5 [= AGS 2017, 386]; a.A. VG Regensburg, Beschl. v. 27.6.2016 – RO 9 M 16.929, juris Rn 12 [= AGS 2016, 461]). Zum anderen soll ausweislich der Gesetzesbegründung die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann (vgl. BT.-Drs. 17/11471 (neu), 275). Die Durchführung der mündlichen Verhandlung kann jedoch nicht nur im Fall des § 84 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, sondern auch in den Fällen des § 84 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwGO erzwungen werden.
Die Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV ist jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass eine mündliche Verhandlung i.S.d. dieser Vorschrift nur dann beantragt werden kann, wenn ein solcher Antrag nicht nur statthaft, sondern auch nicht offensichtlich unzulässig wäre (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 7.9.2017 – 14 KE 29.17, juris [= AGS 2017, 506]; VG Wiesbaden, Beschl. v. 28.8.2017 – 3 O 359/17.WI.A, juris; VG Greifswald, Beschl. v. 23.10.2017 – 3 E 2190/17 HG, juris; VG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 21.9.2015 – 12 A 3/15, juris [= AGS 2016, 66]). Das "kann" ist hier im Sinne eines rechtlichen Dürfens zu verstehen. Hierfür spricht der Sinn und Zweck der Vorschrift. Durch die fiktive Terminsgebühr soll im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Schonung der gerichtlichen Ressourcen vermieden werden, dass Rechtsanwälte nach Ergehen eines Gerichtsbescheids allein im Gebühreninteresse einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen. Nach der Begründung des Geset...