RVG §§ 22 Abs. 2 S. 2, 7 Abs. 2
Leitsatz
Die Erhöhung der Wertgrenze für die Anwaltsgebühren über 30 Mio. EUR hinaus nach § 22 Abs. 2 S. 2 RVG setzt voraus, dass die dort als "in derselben Angelegenheit" für mehrere Auftraggeber bezeichnete anwaltliche Tätigkeit verschiedene Gegenstände betrifft (Festhaltung BGH, Beschl. v. 2.3.2010 – II ZR 62/06, AGS 2010, 213). Dafür, dass der Gesetzgeber dem Anwalt mit § 22 Abs. 2 S. 2 RVG Gebühren in einer Höhe zusprechen wollte, die er nach § 7 Abs. 2 RVG von den Auftraggebern gar nicht verlangen kann, gibt es keinen Anhaltspunkt. Der Gesetzesbegründung lässt sich nur entnehmen, dass mit § 22 Abs. 2 S. 2 RVG bei mehreren Auftraggebern die Höchstgrenze für jeden Auftraggeber so bemessen werden sollte, als habe er den Auftrag allein erteilt.
BGH, Beschl. v. 13.12.2011 – II ZR 141/09
1 Aus den Gründen
Für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist gem. § 32 Abs. 1 RVG der für die Gerichtsgebühren gem. § 39 Abs. 2 GKG gerichtlich auf 30 Mio. EUR festgesetzte Wert maßgebend. Er ist nicht gem. § 33 Abs. 1 RVG i.V.m. § 22 Abs. 2 S. 2 RVG selbstständig auf 60 Mio. EUR festzusetzen, weil die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten denselben Gegenstand betroffen hat. Die Erhöhung der Wertgrenze für die Anwaltsgebühren über 30 Mio. EUR hinaus nach § 22 Abs. 2 S. 2 RVG setzt voraus, dass die dort als "in derselben Angelegenheit" für mehrere Auftraggeber bezeichnete anwaltliche Tätigkeit verschiedene Gegenstände betrifft (BGH, Beschl. v. 2.3.2010 – II ZR 62/06, NJW 2010, 1373). Daran hält der Senat auch angesichts der im Schrifttum geäußerten Kritik (Bischoff, NJW 2010, 1374; Haas/Fischera, LMK 2010, 304946; zustimmend dagegen Thiel, AGS 2010, 215) nach neuerlicher Überprüfung fest. Grundsätzlich kommt eine Wertaddition nur bei verschiedenen Gegenständen in einer Angelegenheit in Betracht (§ 22 Abs. 1 RVG); bei demselben Gegenstand wird die Mehrarbeit des Rechtsanwalts bei mehreren Auftraggebern dagegen durch eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV entgolten. Gegen eine Addition der gekappten Gegenstandswerte mehrerer Auftraggeber bei einem Gegenstand spricht vor allem, dass dann dem Anwalt insgesamt eine höhere Vergütung zustehen würde, als er zusammengerechnet von den einzelnen Auftraggebern verlangen könnte. Dafür, dass der Gesetzgeber dem Anwalt mit § 22 Abs. 2 S. 2 RVG Gebühren in einer Höhe zusprechen wollte, die er nach § 7 Abs. 2 RVG von den Auftraggebern gar nicht verlangen kann, gibt es keinen Anhaltspunkt. Der Gesetzesbegründung lässt sich nur entnehmen, dass mit § 22 Abs. 2 S. 2 RVG bei mehreren Auftraggebern die Höchstgrenze für jeden Auftraggeber so bemessen werden sollte, als habe er den Auftrag allein erteilt (Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts [KostRMoG], BT-Drucks 15/1971 S. 195).
Mitgeteilt von Reg.-Dir. a.D. Heinrich Hellstab, Berlin
2 Anmerkung
Der Wortlaut des § 22 Abs. 2 S. 2 RVG differenziert derzeit nicht danach, ob der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit für die verschiedenen Auftraggeber derselbe ist oder ob verschiedene Gegenstände zugrunde liegen. Ein Teil der Rspr. hatte daher die Vorschrift unreflektiert auch auf solche Fälle angewandt, in denen der Anwalt mehrere Auftraggeber wegen desselben Gegenstandes vertreten hatte. Daneben haben diese Gerichte dann auch noch die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV zugesprochen, da auch deren Voraussetzung erfüllt war.
Gegen diese Auffassung ist zu Recht eingewandt worden, dass sie dem Gebührensystem des RVG widerspricht. Eine Addition der Gegenstandswerte einerseits und eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV schließen sich grundsätzlich gegenseitig aus. Entweder liegt der anwaltlichen Tätigkeit derselbe Gegenstand zugrunde; dann bleibt es bei dem einfachen Wert; dafür erhöhen sich jedoch Verfahrens- und Geschäftsgebühr um 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0. Liegen dagegen verschiedene Gegenstände zugrunde, dann werden die einzelnen Werte nach § 22 Abs. 2 S. 2 RVG bzw. § 23 Abs. 1 S. 4 RVG i.V.m. § 22 Abs. 2 S. 2 RVG zusammengerechnet, eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV ist daneben aber ausgeschlossen.
Der BGH hatte bereits diese Systematik berücksichtigt und klargestellt, dass eine Anhebung der Höchstgebühr gem. § 22 Abs. 2 S. 2 RVG nur in Betracht kommt, wenn der Anwalt mehrere Auftraggeber wegen verschiedener Gegenstände vertritt.
Diese Rspr. soll durch das 2. KostRModG im Gesetz verankert werden, indem § 22 Abs. 2 S. 2 RVG entsprechend geändert wird.
Norbert Schneider