RVG §§ 33 Abs. 3, 56 Abs. 2 RVG VV Nr. 1008 BGB § 426 Abs. 1
Leitsatz
- Vertritt ein Prozessbevollmächtigter im Rechtsstreit mehrere Streitgenossen, von denen jedoch lediglich einem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, so ist für die Höhe der aus der Staatskasse zu zahlenden Rechtsanwaltsvergütung der Beschluss maßgeblich, durch welchen die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.
- Enthält dieser Beschluss keine Anordnung einer Beschränkung des Vergütungsanspruchs, zum Beispiel auf die Erhöhungsbeträge nach Nr. 1008 VV, so fehlt es für eine Beschränkung im Kostenfestsetzungsverfahren an einer rechtlichen Grundlage.
OLG Naumburg, Beschl. v. 31.7.2012 – 2 W 58/11
1 Sachverhalt
Die Kläger haben – vertreten durch denselben Prozessbevollmächtigten – als Erben im Ausgangsverfahren von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall verlangt, bei dem der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Klägerinnen zu 2) bis 4) verstarb.
Mit Beschluss hat das OLG unter Abänderung einer anderslautenden Entscheidung des LG der Klägerin zu 1) für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts bewilligt. Gleichzeitig hat es der Klägerin aufgegeben, für jeden Rechtszug monatliche Raten in Höhe von 75,00 EUR zu zahlen, solange das Gericht nichts anderes bestimme, maximal 48 Raten.
Nach Abschluss des Rechtsstreits ist von der Rechtspflegerin des LG die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.384,57 EUR festgesetzt worden. Gegen diesen Beschluss hat die Bezirksrevisorin beim LG Erinnerung mit dem Antrag eingelegt, die Gesamtforderung des beigeordneten Rechtsanwalts auf nur 139,59 EUR – die 0,3-fache Erhöhungsgebühr gem. Nr. 1008 VV zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer – "auszufolgen".
Der Einzelrichter hat der Erinnerung abgeholfen und die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 139,59 EUR festgesetzt. Unter Bezugnahme auf die Rspr. des BGH (NJW 1993, 1715) hat er ausgeführt, dass nur der Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV zu erstatten sei. Es sei irrelevant, dass der Bewilligungsbeschluss des OLG keine Beschränkung auf den Erhöhungsbetrag enthalte. Da der finanziell leistungsfähige Streitgenosse nicht benachteiligt würde, wenn er den Anwalt allein beauftragt hätte, widerspräche es dem Sinn des Prozesskostenhilferechts, wenn die vermögende Partei dadurch entlastet würde, dass dem Verfahren eine bedürftige Partei hinzuträte.
Gegen diesen Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten des beigeordneten Rechtsanwalts Beschwerde eingelegt. Sie beantragen weiterhin, die aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.384,57 EUR festzusetzen.
Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung übersandt. Die Einzelrichterin hat das Verfahren wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung dem Senat übertragen.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde des beigeordneten Rechtsanwalts – nicht der Klägerinnen – ist zulässig (§§ 33 Abs. 3, 56 Abs. 2 S. 1 RVG). Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Dem der Klägerin zu 1) beigeordneten Rechtsanwalt steht eine aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung in Höhe von 1.384,57 EUR zu. Sein Vergütungsanspruch ist nicht auf den Mehrvertretungszuschlag gem. Nr. 1008 VV in Höhe von 139,59 EUR beschränkt.
1. Zu der Höhe der Rechtsanwaltsvergütung aus der Staatskasse bei einem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten mehrerer Streitgenossen, von denen nur einem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.
a) Nach h.A. ist der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse in dem Fall, in dem einem von mehreren Streitgenossen, die durch einen gemeinsamen Rechtsanwalt vertreten werden, Prozesskostenhilfe ohne jede Beschränkung bewilligt wird, nicht auf den Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV beschränkt, sondern umfasst die vollen Anwaltsgebühren (§ 49 RVG), die durch die Vertretung der bedürftigen Partei ausgelöst worden sind (OLG Bamberg, Beschl. v. 18.5.2000 – 3 W 39/00; OLG München, Beschl. v. 30.11.2010 – 11 W 835/09, MDR 2011, 326 [= AGS 2011, 76]; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, 20. Aufl., § 50 RVG, Rn 11; Hartmann, KostG, 42. Aufl., § 48 RVG Rn 65 – Stichwort: "Streitgenosse"; Hartung/Römermann/Schons, RVG, § 45 Rn 70, jeweils m. w. Nachw.). Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts bestimmt sich nach dem Beschluss, durch welchen die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Enthält der die Prozesskostenhilfe bewilligende Beschluss keine Beschränkung, richtet sich der Vergütungsanspruch nach § 7 RVG. Danach erhält der Rechtsanwalt, der mehrere Auftraggeber als Streitgenossen in einem Rechtsstreit vertritt, die Gebühren in jeder Instanz nur einmal (§§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 S. 2 RVG); jedoch schuldet jeder Auftraggeber diejenigen Gebühren und Auslagen, die er schulden würde, wenn der Rechtsanwalt nur in seinem Auftrag tätig geworden wäre (§ 7 Abs. 2 S. 1, Hs. 1 RVG). Dementsprec...