Leitsatz
Hat das Beschwerdegericht in einem Sorgerechtsverfahren bereits ein (psychologisches) Sachverständigengutachten eines gerichtlich bestellten Gutachters (zum Sozialverhalten des Kindes und zu Fragen einer Rückführung des Kindes in den mütterlichen Haushalt) eingeholt, kann der im Wege der Verfahrenskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt der Kindesmutter nicht mit Erfolg beantragen, dass ihm nach § 47 RVG ein Vorschuss für die Aufwendungen zur Beauftragung eines Privatgutachtens ausgezahlt wird, weil zur Rechtswahrnehmung ein Privatgutachten nicht erforderlich ist.
OLG Dresden, Beschl. v. 8.1.2016 – 22 UF 966/14
1 Sachverhalt
Der Senat hatte ein Sachverständigengutachten zu Mutter und Kind in dem anhängigen Sorgerechtsverfahren eingeholt. Dabei waren durch die psychologische Sachverständige folgende Fragen zu beantworten:
1. Ist I. Sozialverhalten (weiterhin) gestört? Wenn ja: Inwieweit ist dies auf Familienangehörige oder sonstige Bezugspersonen des Kindes zurückzuführen? Welche anderen Ursachen gibt es?
2. Würde im Falle einer Rückführung I. in den mütterlichen Haushalt das körperliche, geistige oder seelische Wohl I. gegenwärtig und in einem solchen Maße gefährdet, dass sich für die weitere Entwicklung des Kindes eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt?
Wenn ja: Ist die Gefahr durch etwaige Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Mutter bedingt? Gibt es (auch) andere Gründe im mütterlichen Haushalt (Lebensgefährte)?
3. Falls nur eine Trennung I. von der Mutter geeignet ist: Welche negativen Folgen der Fremdunterbringung drohen? Welche Vorteile ergeben sich durch die Fremdunterbringung? Wie ist aktuell die Entwicklung einzuschätzen, die I. erreicht hat vor dem Hintergrund, dass am 16.7.2013 befürchtet wurde, an einer Trennung würde das Kind kaputt gehen?
Die Sachverständige hat das Gutachten erstattet.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Mutter hat abschließend beantragt, nach § 47 RVG einen Vorschuss in Höhe von 2.600,00 EUR auszuzahlen. Die Aufwendungen für die Beauftragung des Privatgutachtens seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich, um das Gutachten auszuwerten und zu hinterfragen. Zudem macht er Zweifel an Testverfahren und an der Einhaltung wissenschaftlicher Kriterien geltend.
Der Senat hat den Antrag zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen
Der Antrag auf Gewährung eines Kostenvorschusses ist ohne Erfolg. Denn zur Rechtswahrnehmung ist ein Privatgutachten nicht erforderlich.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter kann wegen seiner Vergütung keinen Vorschuss (nach § 47 Abs. 1 RVG) beanspruchen. Zur Vergütung zählen nur solche Auslagen des Rechtsanwalts, die zur sachgemäßen Durchführung des Auftrags erforderlich sind (§ 46 Abs. 1 RVG).
1. Zu den Auslagen können die Kosten für die Einholung eines Privatsachverständigengutachtens gehören, wenn sie unmittelbar prozessbezogen und notwendig zur zweckentsprechenden Rechtswahrnehmung sind. Die Konstellation ist identisch mit der Frage, inwieweit derartige Kosten festgesetzt werden können (vgl. §§ 91 Abs. 1 S. 1, 103 Abs. 1 ZPO).
Die Beurteilung der Frage, ob dies zur Durchführung des Auftrags erforderlich ist, hat sich daran auszurichten, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte; dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die kostenauslösende Maßnahme veranlasst wurde (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2002 – VI ZB 56/02 [= AGS 2003, 178]; Beschl. v. 23.5.2006 – VI ZB 7/05; NJW 2008, 1597; VersR 2009, 563 [= AGS 2006, 461]; NJW 2009, 2220; Beschl. v. 20.12.2011 – VI ZB 17/11).
Die Sachdienlichkeit wurde insbesondere in Fällen bejaht, in denen die Partei infolge fehlender Sachkenntnisse ohne die Einholung des Privatgutachtens nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage war (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2002 – VI ZB 56/02 [= AGS 2003, 178]; Beschl. v. 23.5.2006 – VI ZB 7/05 [= AGS 2006, 461]). Hierzu gehören auch Fälle, in denen die Partei ohne Einholung eines Privatgutachtens ein ihr nachteiliges Gerichtssachverständigengutachten nicht zu erschüttern vermag (vgl. OLG Köln DS 2009, 316 = OLGR 2009, 527; KG KGR 2008 487; OLG Koblenz Rpfleger 1991, 388 = NZV 1991, 315; OLG Schleswig, VersR 1991, 117; OLG Saarbrücken JurBüro 1988, 1360; OLG Stuttgart v. 13.11.2001 – 8 W 481/01; v. 11.7.2007 – 8 W 265/07; OLG Celle, Beschl. v. 25.7.2009 – 2 W 148/08; OLG Hamm, Beschl. v. 14.5.2013 – 25 W 94/13). Daneben können bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Kosten des Privatgutachtens weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen, wie etwa dessen voraussichtliche Eignung zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung und deren Erfolgsaussichten, insbesondere unter Berücksichtigung vorhandener Anknüpfungstatsachen, sowie die Möglichkeit, den Prozesserfolg mit anderen Darlegungs- und Beweismitteln zu fördern. Letztlich dürfen im Rahmen der erforderl...