ZPO § 91; RVG VV Nr. 3200
Leitsatz
Die durch einen Zurückweisungsantrag entstehende volle Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren ist nicht erstattungsfähig, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung der Berufung bereits zurückgenommen worden war. Auf eine Kenntnis des Berufungsbeklagten oder seines Anwalts von der Rücknahme kommt es nicht an.
BGH, Beschl. v. 5.10.2017 – I ZB 112/16
1 Sachverhalt
In dem vorausgegangenen Verfügungsverfahren nahm der Antragsteller die Antragsgegnerin auf Unterlassung in An spruch. Das LG wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Dagegen legte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers Berufung ein. Nachdem der Berichterstatter den Verfahrensbevollmächtigten beider Parteien am 10.3.2016 die vorläufige Einschätzung, das Rechtsmittel habe keine Aussicht auf Erfolg, telefonisch mitgeteilt hatte, nahm der Antragsteller am 16.3.2016 die Berufung zurück. Am selben Tag – jedoch nach Eingang der Rücknahmeerklärung – gingen der Zurückweisungsantrag und die Berufungserwiderung der Antragsgegnerin beim OLG ein. Mit Beschluss des OLG wurden dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt.
Dem Antrag der Antragsgegnerin, für das Berufungsverfahren eine 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV aus einem Streitwert bis 10.000,00 EUR nebst einer Pauschale gem. Nr. 7002 VV gegen den Antragsteller festzusetzen, hat das LG entsprochen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Zurückweisung des Kostenfestsetzungsantrags der Antragsgegnerin weiter, soweit damit die Festsetzung der 1,6-fachen Verfahrensgebühr anstatt der ermäßigten 1,1-fachen Verfahrensgebühr für das Berufungsverfahren beantragt worden ist.
2 Aus den Gründen
Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Das Beschwerdegericht hat einen Anspruch der Antragsgegnerin auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,6-fachen Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV zu Unrecht bejaht.
1. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Beschwerdegericht ausgeführt, mit Einreichung des Schriftsatzes v. 16.3.2016 sei für die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin die volle Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV angefallen. Wie sich aus Nr. 3201 Nr. 1 VV ergebe, erhalte der Rechtsanwalt die volle Verfahrensgebühr, wenn er einen Schriftsatz einreiche, der einen Sachantrag oder Sachvortrag enthalte. Die den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin zustehende 1,6-fache Verfahrensgebühr sei auch erstattungsfähig. Dass der Antragsteller seine Berufung ebenfalls am 16.3.2016 und vor Einreichung der Berufungserwiderung zurückgenommen habe, stehe dem nicht entgegen. Von der Rücknahme des Rechtsmittels habe die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrags keine Kenntnis gehabt. Nach der Rspr. des Beschwerdegerichts und anderer Oberlandesgerichte seien die Kosten des Rechtsmittelgegners auch dann erstattungsfähig, wenn weder ihm noch seinem Prozessbevollmächtigten im Zeitpunkt der die Gebühr auslösenden Tätigkeit die Rücknahme des Rechtsmittels bekannt gewesen sei oder hätte bekannt sein müssen.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die vom LG antragsgemäß festgesetzte 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV gehört nicht zu den erstattungsfähigen Kosten des Gegners i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, da der Antrag auf Zurückweisung der Berufung erst nach Rücknahme des Rechtsmittels eingegangen ist.
aa) Nach dieser Vorschrift hat die unterliegende Partei oder im Fall der Berufungsrücknahme der Berufungskläger (§ 516 Abs. 3 ZPO) dem Gegner die diesem erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren. Notwendig i.S.d. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO sind nur Kosten für solche Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen. Das ist vom Standpunkt einer verständigen und wirtschaftlich vernünftigen Partei aus zu beurteilen, wobei grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Vornahme der kostenverursachenden Handlung abzustellen ist (BGH, Beschl. v. 26.1.2006 – III ZB 63/05, BGHZ 166, 117 Rn 20 [= AGS 2006, 516]; Beschl. v. 30.7.2014 – XI ZB 21/13, JurBüro 2015, 90 Rn 10; Beschl. v. 25.2.2016 – III ZB 66/15, BGHZ 209, 120 Rn 8 [= AGS 2016, 252]).
bb) Die Frage, ob im Berufungsverfahren die Kosten für die Einreichung eines Schriftsatzes, mit dem die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt wird, auch dann erstattungsfähig sind, wenn dieser erst nach der Rücknahme der Berufung bei Gericht eingeht, ist bereits Gegenstand von Entscheidungen des BGH gewesen. Danach stellt die Einreichung einer Berufungserwiderung nach Rücknahme des Rechtsmittels keine zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderliche Maßnahme dar. Auf die (verschuldete oder unverschuldete) Unkenntnis de...