FamFG §§ 76 Abs. 1, 113 Abs. 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Schließen die Beteiligten in einer selbstständigen Familiensache einen Vergleich unter Einbeziehung nicht anhängiger Verfahrensgegenstände (Mehrvergleich), hat der unbemittelte Beteiligte einen Anspruch auf Erweiterung der ihm bewilligten Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche in diesem Zusammenhang ausgelöste Gebühren (Abgrenzung zu BGHZ 159, 263 = FamRZ 2004, 1708 u. BGHZ 91, 311 = NJW 1984, 2106).
BGH, Beschl. v. 17.1.2018 – XII ZB 248/16
1 Sachverhalt
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die nicht miteinander verheirateten Eltern ihrer Tochter M. Sie haben vor dem FamG ein Verfahren zur Regelung des Aufenthalts ihres gemeinsamen Kindes geführt. Hierfür ist dem Antragsteller ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seiner Rechtsanwältin bewilligt worden. Nach Durchführung eines Erörterungstermins und Erlass eines Beweisbeschlusses zur Einholung eines Sachverständigengutachtens schlossen die Kindeseltern eine außergerichtliche Vereinbarung, in der sie neben Regelungen zum Aufenthalt ihres Kindes auch solche zum Umgangsrecht und zum Kindesunterhalt getroffen haben. Diese Vereinbarung hat die beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers beim FamG zur gerichtlichen Feststellung gem. § 278 Abs. 6 S. 2 ZPO i.V.m. §§ 113 Abs. 1, 36 Abs. 3 FamFG eingereicht. Zugleich hat der Antragsteller beantragt, die ihm bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss der Vereinbarung zu erstrecken sowie auf die im Zusammenhang mit der Regelung der nicht anhängigen Angelegenheiten Umgang und Kindesunterhalt entstandenen Gebühren.
Das AG hat die Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz (nur) auf den Abschluss des gerichtlich festgestellten Vergleichs erweitert. Die Beschwerde des Antragstellers ist ohne Erfolg geblieben. Gegen diese Entscheidung richtet sich seine zugelassene Rechtsbeschwerde.
2 Aus den Gründen
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) und es um Fragen des Verfahrens der Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. Senatsbeschl. v. 22.10.2014 – XII ZB 125/14, FamRZ 2015, 133 Rn 4 m.w.N.). Sie ist auch im Übrigen zulässig.
Auch in der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung dahingehend, dass die dem Antragsteller gewährte Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seiner Bevollmächtigten auf sämtliche Gebühren im Zusammenhang mit dem Abschluss des Mehrvergleichs erstreckt wird.
I. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Antragsteller könne hinsichtlich der nicht anhängigen Verfahrensgegenstände Umgang und Kindesunterhalt eine Erweiterung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe lediglich auf eine hierdurch entstandene Einigungsgebühr, nicht aber auf eine Differenzverfahrens- und Differenzterminsgebühr verlangen.
Werde – wie vorliegend – Verfahrenskostenhilfe für einen Vergleich über nicht anhängige Ansprüche bewilligt, könne der beigeordnete Rechtsanwalt nur die Festsetzung einer Einigungsgebühr aus dem Vergleichsmehrwert verlangen. Diese Konstellation sei vergleichbar mit derjenigen eines Vergleichsschlusses im Erörterungstermin des Verfahrenskostenhilfeverfahrens. Insoweit gelte der Grundsatz, dass für nicht anhängige Verfahren – und damit auch für das Verfahrenskostenhilfeverfahren selbst – Verfahrenskostenhilfe nicht bewilligt werden könne. Um dem Ausnahmecharakter von § 118 Abs. 1 S. 3 ZPO Rechnung zu tragen, sei der Abschluss des Vergleiches von diesem Grundsatz ausgenommen. Dementsprechend habe der BGH entschieden, dass Verfahrens- bzw. Prozesskostenhilfe lediglich für die Einigungsgebühr, also für den Abschluss des Vergleichs selbst, bewilligt werden könne, nicht aber für das ganze Verfahren. Dies müsse dann ebenso für im Verfahren nicht anhängige Verfahrensgegenstände gelten. Denn da die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder -verteidigung voraussetze, eine derartige Prüfung jedoch nicht erfolgt sei, komme eine Erstreckung auf nicht anhängige Ansprüche nicht in Betracht.
Hierfür spreche auch die seit 1.8.2013 geltende Neufassung des § 48 Abs. 3 RVG. Der Gesetzgeber habe mit dieser Neuregelung klargestellt, dass im Falle eines Vergleichsabschlusses in Ehesachen alle in diesem Zusammenhang anfallenden Gebühren zu erstatten seien. Da sich die Vorschrift jedoch ausdrücklich nur auf die Beiordnung in Ehesachen beziehe, sei im Umkehrschluss daraus abzuleiten, dass bei sonstigen selbstständigen Familiensachen eine automatische Erstreckung auf andere Verfahren nicht erfolge.
Schließlich sei es auch nach dem Sinn und Zweck der Verfahrenskostenhilfe als einer sozialhilfeähnlichen Leistung staatlicher Daseinsfürsorge nicht geboten, diese über die dem beigeordneten Rechtsanwalt zustehende Einigungsgebühr hinaus auf die Differenzverfahrens- und Differenzterminsgebühr zu erstrecke...