ZPO § 91 RVG VV Nrn. 3200, 3201
Leitsatz
Wird eine Berufung fristwahrend eingelegt und vor Ablauf der Begründungsfrist wieder zurückgenommen, so ist eine Verfahrensgebühr auf Seiten der Beklagten dann nicht erstattungsfähig, wenn ihr Prozessbevollmächtigter zugleich deren Geschäftsführer ist.
OLG Köln, Beschl. v. 30.12.2011 – 17 W 255/11
1 Sachverhalt
Die Klägerin, eine gemeinnützige GmbH, hatte vor dem LG einen Rechtsstreit geführt und sich dabei von der Dr. S. Rechtsanwalts GbR vertreten lassen. Sachbearbeitender Rechtsanwalt war Herr Rechtsanwalt S., der zugleich auch Geschäftsführer der Klägerin war. Nach erfolgreichem Abschluss des landgerichtlichen Verfahrens legte die Gegenseite Berufung ein und bat den Rechtsanwalt der Beklagten, von einer Bestellung zunächst abzusehen, da die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens noch nicht abschließend geprüft worden seien.
Die Berufungsschrift ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 9.12.2011 zugestellt worden. Dieser fertigte noch am selben Tag einen Bestellungsschriftsatz und schrieb gleichzeitig an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten (dort um 11.12 Uhr per Fax eingegangen): In oben bezeichneter Sache weisen wir kollegialiter darauf hin, dass unsere Mandantin aufgrund des Verhaltens der Beklagten und auch des unwürdigen Vortrags im Prozess selbst nicht gewillt ist, von einer Bestellung abzusehen und der Beklagten eine über die gesetzliche Frist hinausgehende kostenneutrale Prüfungsfrist einzuräumen. Der Schriftsatz zur Bestellung wird hier am morgigen Tag versandt, soweit bis dahin hier keine Rücknahme der Berufung eingegangen ist.
Anschließend wies er seine Büroleiterin an, den Bestellungsschriftsatz am Folgetag per Post an das OLG zu versenden, falls bis dahin eine Berufungsrücknahme nicht erklärt worden sei. Die Angestellte versandte weisungsgemäß den Bestellungsschriftsatz am 10.12.2011 gegen 13.00 Uhr, nachdem sie bis dahin keine Nachricht von der Beklagten hatte. Deren Prozessbevollmächtigten haben mit Schriftsatz vom 10.12.2011, welcher per Fax am selben Tag um 15.31 Uhr in der Anwaltssozietät S. einging, die Rücknahme der Berufung erklärt. Der Beklagten sind sodann die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt worden.
Der Rechtspfleger hat die Festsetzung der von der Klägerin gem. Nrn. 3200, 3201 VV angemeldeten 1,1-Verfahrensgebühr abgelehnt, da diese ihre Zusage, mit der Bestellung eines Anwalts bis (einschließlich) des 10.12.2011 zu warten, nicht eingehalten habe. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin, mit der sie einwendet, sie habe sich nicht abredewidrig verhalten, denn dem Schreiben vom 9.12.2011 sei nicht zu entnehmen gewesen, dass die Beklagte die Berufungsrücknahme kostenfrei auch noch am Folgetag habe erklären können.
Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hatte im Ergebnis keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Der Rechtspfleger hat die von der Klägerin angemeldeten Kosten im Ergebnis zu Recht nicht festgesetzt.
1. Der Klägerin ist zunächst zwar insoweit Recht zu geben, als nach dem Wortlaut des Schreibens vom 9.12.2011 eine kostenneutrale Rücknahme der Berufung nur bis zum Ablauf dieses Tages erfolgen konnte. Ob die Bemessung einer derart kurzen Frist mit dem auch im Kostenrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben in Einklang zu bringen ist, unterliegt indes Zweifeln, denn der Beklagten blieben damit nur wenige Stunden für die Prüfung, ob sie das Rechtsmittel weiter durchführen wollte. Der Senat neigt daher der Auffassung der Beklagten zu, dass die Klägerin mit der Bestellung ihres Prozessbevollmächtigten jedenfalls noch den Ablauf der üblichen Bürozeiten des Folgetags zuwarten musste.
2. Vorliegend bedarf die Frage der Fristwahrung indes keiner Entscheidung, denn die Klägerin kann bereits aus anderen Gründen keine Erstattung der geltend gemachten Verfahrensgebühr verlangen.
a) Die Erstattungsfähigkeit der durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts im Berufungsverfahren entstandenen Kosten richtet sich nach § 91 ZPO. Danach sind die Kosten dann zu erstatten, wenn eine wirtschaftlich denkende Partei sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung als notwendig ansehen durfte. Nach der vom Senat geteilten höchstrichterlichen Rspr. (vgl. BGH NJW 2003, 756; NJW 2007, 3723; NJW 2008, 1087) sind dabei folgende Grundsätze zu beachten: Solange noch unsicher ist, ob das Rechtsmittel durchgeführt wird, ist die Beauftragung eines Anwalts für die Berufungsinstanz zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung objektiv nicht erforderlich. Wird gleichwohl ein Anwalt beauftragt, wird eine Erstattungsfähigkeit im Allgemeinen jedoch mit der Erwägung angenommen, dass der Rechtsmittelgegner in der Regel anwaltlichen Rat in einer als risikobehafteten Situation für erforderlich halten darf (vgl. auch SenE v. 8.4.2011 – 17 W 31/11).
Letzteres gilt allerdings dann nicht, wenn der Anwalt selbst Partei ist. Denn ein Anwalt, der sich selbst vertritt, empfindet die Situation nicht in gleicher Weise risikobehaftet und bedarf keines Rates (BGH NJW 2008, 1087 [= AGS 2008, 155]).
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