Leitsatz
Die gebührenrechtliche Erstreckung nach § 48 Abs. 5 S. 3 RVG a.F. (jetzt § 48 Abs. 6 S. 3 RVG) setzt voraus, das der Verteidiger in dem später hinzu verbundenen Verfahren vor der Verbindung bereits (als Wahlverteidiger) eine gebührenauslösende Tätigkeit entfaltet hat.
OLG Rostock, Beschl. v. 25.11.2013 – Ws 359/13
1 Sachverhalt
Der Angeklagte war vom AG wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Jugendstrafe verurteilt worden und am Folgetag ebenfalls vom AG wegen Unterschlagung und Betruges nach Erwachsenenstrafrecht.
Der Angeklagte hat gegen beide Urteile Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren bezüglich der ersten Verurteilung ist unter Geschäftszeichen 83 Ns 9/13 bei der 83. Strafkammer anhängig geworden; das Berufungsverfahren bezüglich der zweiten Verurteilung gelangte zunächst zur 90. Strafkammer (90 Ns 94/13). Von dort wurde es mit Blick auf die Regelung in § 32 i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG an die Jugendkammer abgegeben und dort zunächst unter dem Geschäftszeichen 83 Ns 12/13 registriert.
Anschließend forderte der Vorsitzende der Jugendkammer im Verfahren 83 Ns 9/13 den Angeklagten auf, einen Verteidiger zum Zwecke der nach "§ 140 StPO" für erforderlich erachteten Beiordnung zu benennen. Nachdem darauf keine Reaktion erfolgt war, wurde dem Angeklagten Rechtsanwalt B. in jenem Verfahren als Verteidiger bestellt. Mit Verfügung vom selben Tag gewährte der Jugendkammervorsitzende dem Rechtsanwalt Einsicht sowohl in die Akten 83 Ns 9/13 wie auch in das zu diesem Zeitpunkt noch nicht hinzu verbundene Verfahren 83 Ns 12/13 "mdB um Stellungnahme zur beabsichtigten Verbindung". Der Verteidiger beantragte daraufhin, dem Angeklagten auch im Verfahren 83 Ns 12/13 als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Zu der beabsichtigten Verfahrensverbindung wurde ausdrücklich keine Erklärung abgegeben.
Nach zustimmender Äußerung der Staatsanwaltschaft wurden beide Berufungsstrafsachen unter Führung des Verfahrens 83 Ns 9/13 verbunden.
Anschließend beantragte der Verteidiger, "gem. § 48 Abs. 5 RVG festzustellen, dass sich die Beiordnung als Pflichtverteidiger auch auf diejenigen Verfahren erstreckt, in denen vor der Verbindung keine Beiordnung oder Bestellung erfolgt war". Dies lehnte der Vorsitzende der Jugendkammer mit der Begründung ab, die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Erstreckung lägen nicht vor, weil der Verteidiger in dem hinzuverbundenen Verfahren (83 Ns 12/13) vor der Verbindung und vor seiner Beiordnung im führenden Verfahren nicht tätig gewesen sei.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verteidiger mit seiner Beschwerde, der das LG nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für begründet.
Die Beschwerde blieb erfolglos.
2 Aus den Gründen
a) Die Anfechtung der getroffenen Entscheidung ist nach § 304 Abs. 1 StPO statthaft. Es gelten die allgemeinen Regeln der StPO, weil das RVG gegen Entscheidungen über Anträge nach (jetzt:) § 48 Abs. 6 S. 3 RVG keinen besonderen Rechtsbehelf vorsieht (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 29.1.2008 – 4 Ws 9/08; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.4.2004 – 3 Ws 94/07; KG, Beschl. v. 27.9.2011 – 1 Ws 64/10; Burhoff, RVGreport 2004, 411; ders. in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl. § 48 Rn 154 m.w.Nachw.). Der Pflichtverteidiger hat auch ein eigenes Beschwerderecht (vgl. OLG Hamm und Düsseldorf a.a.O.), weil die angefochtene Entscheidung seinen Gebührenanspruch betrifft. Der Fall ist vergleichbar mit einer Beschränkung der Pflichtverteidigerbestellung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts, die der bestellte Verteidiger – anders als die Ablehnung seiner Bestellung – selbstständig anfechten kann (vgl. OLG Düsseldorf VRS 116, 273; KG a.a.O.).
b) Auch ist der in Kostensachen erforderliche Beschwerdewert von 200,00 EUR (§ 304 Abs. 3 StPO) vorliegend erreicht. Dem Rechtsanwalt geht es – was das LG allerdings anders gesehen hat – wohl nicht nur darum, auch für das hinzu verbundene Verfahren die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV abrechnen zu können, die sich nach der Fassung der Bestimmung im dafür maßgeblichen Zeitpunkt der Beiordnung (§ 60 Abs. 1 S. 1 RVG) nur auf 132,00 EUR netto belief, sondern er möchte entsprechend dem Wortlaut des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG wohl auch erreichen, dass "die Wirkungen des Satzes 1" auf das hinzu verbundene Verfahren erstreckt werden, er mithin auch die Vergütung als Pflichtverteidiger abrechnen kann, die in jenem Verfahren "für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung, in Strafsachen einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage" angefallen ist. Das wären – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – dann jedenfalls auch die Verfahrensgebühren für das vorbereitende Verfahren nach Nr. 4104 VV in Höhe von 112,00 EUR und gegebenenfalls sogar für das erstinstanzliche Verfahren nach Nr. 4106 VV in Höhe von weiteren 112,00 EUR.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Zutreffend hat das LG darauf abgestellt, dass Voraussetzung für eine (gebührenrechtliche) Erstreckung der Beiordnung auf ein hinzu verbundenes Verfahren ist, dass der ...