RVG VV Nr. 4102
Leitsatz
Für die Teilnahme des Verteidigers an der Exploration seines Mandanten durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen entsteht eine Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV analog.
LG Hamburg, Beschl. v. 24.11.2016 – 617 Ks 22/16
1 Sachverhalt
Der Erinnerungsführer war dem Freigesprochenen als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Das Verfahren ist mittlerweile nach Rücknahme der Revision durch die Staatsanwaltschaft rechtskräftig abgeschlossen.
Der Erinnerungsführer beantragte in Bezug auf die erwarteten Pflichtverteidigergebühren die Zahlung eines Vorschusses nach § 47 RVG für bereits entstandene Gebühren und Auslagen. Unter anderem beantragte er die Festsetzung einer Terminsgebühr i.H.v. 166,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer nach Nr. 4102, 4103 VV für seine Teilnahme an der Exploration des Freigesprochenen durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen.
Mit dem angegriffenen Beschluss hat der Rechtspfleger die Festsetzung dieser Gebühr abgelehnt. Nr. 4102 VV enthalte eine abschließende Regelung über die Erstattungsfähigkeit von Terminsgebühren, welche sich auf außerhalb der Hauptverhandlung stattfindende Termine beziehen. Die Teilnahme an der Exploration durch einen Sachverständigen sei davon nicht erfasst. Auch eine analoge Anwendung dieser Vergütungsvorschrift scheide aus.
Mit seiner Erinnerung trägt der Erinnerungsführer vor, dass eine analoge Anwendung der Vergütungsvorschrift sehr wohl in Betracht komme. Es liege eine planwidrige Regelungslücke vor, weil die Exploration eine vernehmungsähnliche Situation darstelle. Vorsorglich werde darum gebeten, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 2 RVG die Beschwerde gegen die Entscheidung über die Kostenerinnerung zuzulassen.
Der Rechtspfleger hat der Kostenerinnerung nicht abgeholfen.
2 Aus den Gründen
Die Erinnerung ist zulässig und in dem tenorierten Umfang auch begründet. Der Erinnerungsführer hat nach §§ 47, 55 Abs. 1 RVG i.V.m. Nr. 4102, 4103 VV einen Anspruch auf die Festsetzung einer Terminsgebühr i.H.v. 166,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer für die Teilnahme an der Exploration des Freigesprochenen durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen.
1. Vorliegend war die Kammer zur Entscheidung über die Erinnerung gegen den angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss berufen, so dass ihr die Entscheidung über die Kostenerinnerung zu übertragen war. Zwar liegt die diesbezügliche Entscheidungsbefugnis grundsätzlich beim Einzelrichter (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG). Anders ist dies aber nach § 33 Abs. 8 S. 2 RVG, wenn die Sache eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft.
Dies ist vorliegend der Fall, denn die zentrale Rechtsfrage, ob die Teilnahme eines Pflichtverteidigers an der Exploration eines Angeklagten durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen gesondert zu vergüten ist, wird in Lit. und Rspr. uneinheitlich beantwortet. Während einerseits davon ausgegangen wird, dass die in Nr. 4102 VV aufgezählten Fälle der Vergütung von außergerichtlichen Terminsteilnahmen des Rechtsanwalts abschließend seien und sich eine analoge Anwendung verbiete (u.a. LG Zweibrü cken, Beschl. v. 29.6.2012 – Qs 56/12, BeckRS 2012, 17846; LG Düsseldorf, Beschl. v. 2.11.2009 – 10 Qs 69/09, BeckRS 2011, 02605; Kotz, in: Beck'scher Online-Kommentar RVG, 33. Edition, VV 4102 Rn 12; Burhoff, in: Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., 2012, Nr. 4102 VV, Rn 45), halten andere eine analoge Anwendung der betreffenden Vergütungsvorschrift in einem Fall wie dem vorliegenden für möglich (u.a. LG Offenburg, Beschl. v. 31.5.2006 – 1 KLs 16 Js 10008/05, NStZ-RR 2006 358, 359; LG Braunschweig, Beschl. v. 6.5.2011 – 7 Qs 83/11, BeckRS 2011, 24885; LG Freiburg, Beschl. v. 4.7.2014 – 3 KLs 250 Js 24324/12 u.a., juris). Soweit ersichtlich existiert eine einheitliche obergerichtliche Rspr. zu dieser Frage nicht, so dass die Voraussetzungen einer Entscheidung durch die Kammer an der Stelle des Einzelrichters nach § 33 Abs. 8 S. 2 RVG vorliegen.
2. Die Kostenerinnerung ist auch zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Zulässigkeit der Kostenerinnerung steht auch nicht die nach deren Einlegung eingetretene Rechtskraft der Hauptsache entgegen. Denn auch wenn Gegenstand der Kostenerinnerung die Festsetzung eines Vorschusses nach § 47 RVG ist, bleibt die Beschwer des Erinnerungsführers auch nach zwischenzeitlich eingetretener Rechtskraft und der Möglichkeit einer endgültigen Kostenfestsetzung bestehen. Denn die Entscheidung über die Gewährung und die Höhe eines Kostenvorschusses nach § 47 RVG ist keine vorläufige, sondern steht vielmehr einer Zwischenentscheidung über die Kostenfestsetzung gleich, die nach Abschluss des Verfahrens nicht mehr überprüft wird. Der Vorschussanspruch besteht auf alle bereits entstandenen Gebühren; nur die Fälligkeit der Gebühr nach § 8 RVG muss nicht eingetreten sein (vgl. Sommerfeldt, in: Beck'scher Online-Kommentar RVG, 33. Edition, § 47 Rn 2). Der Rechtsan...