Die Entscheidung des OLG ist zutreffend und überzeugend begründet.

Klüsener[1] geht davon aus, dass in mehr als 90 % aller Verfahren der "Festwert" des § 45 Abs. 1 FamGKG und eine Unbilligkeit immer nur bei einer erheblichen Abweichung der Umstände vom Durchschnitt angenommen werden kann. § 45 Abs. 1 FamGKG sieht einen veränderbaren Regelwert vor, auch wenn in der Begründung des Gesetzgebers von Festwerten die Rede ist.[2] Die Vorschrift des § 45 Abs. 3 FamGKG geht von einer Unbilligkeit aus, die sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben kann. Eine erhebliche Abweichung vom Durchschnittsfall wird nicht gefordert.[3]

Der Gesetzgeber hat für alle im FamGKG aufgenommenen Regelwerte (§§ 44 Abs. 3, 45 Abs. 3, 47 Abs. 2, 48 Abs. 3, 49 Abs. 2, 50 Abs. 3, 51 Abs. 3 FamGKG) eine Billigkeitsabweichung ermöglicht und damit zum Ausdruck gebracht, dass Regelwerte nicht die besonderen Umstände individuell zu erfassen geeignet sind und deshalb von einer Abweichung zukünftig in größerem Umfang, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist, Gebrauch gemacht werden soll. Aus diesem Grunde müssen die Gerichte zunächst Kriterien entwickeln und benennen, die den Regelfall des § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG betreffen, um sachgerechte Abweichungen im Sinne des § 45 Abs. 3 FamGKG überhaupt vornehmen zu können.

Die eine grobe Richtung anzeigenden Kriterien für diesen Regelfall könnten der Begründung des Gesetzgebers zu § 50 Abs. 3 FamGKG zu entnehmen sein, wonach eine Abweichung dann möglich sein soll, wenn Umfang und Bedeutung der Sache in keinem vertretbaren Verhältnis zum Regelwert stehen. Dies würde bedeuten, dass alle auch einfach gelagerten Fallkonstellationen, in denen eine gerichtliche Entscheidung auf der Grundlage eines Jugendamtsberichtes geringen Umfangs mit oder ohne mündliche Verhandlung auch bisher möglich gewesen ist, selbst bei geringen Einkommensverhältnissen mit dem sich aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG ergebenden Regelwert zu bemessen sind. Denn genau so wurde dieser Regelfall auch bereits in der Vergangenheit bewertet.

Die unmittelbare Begründung des Gesetzgebers zu § 45 Abs. 3 FamGKG ist auf jeden Fall zu vernachlässigen. Denn geringe Einkommensverhältnisse[4] dürfen deshalb für eine Abweichung vom Regelwert nicht maßgebend sein, weil schon die geringe Regelbewertung als solche diesem Umstand Rechnung trägt. Denn der Gesetzgeber wollte das Gebührenaufkommen in Kindschaftssachen auf der Grundlage sozialer Erwägungen nach wie vor gering halten. Insoweit haben die Einkommensverhältnisse bereits Einfluss genommen. Die nochmalige Berücksichtigung würde einer unzulässigen Doppelverwertung dieses Arguments gleichkommen.

Auch das OLG Hamburg[5] dürfte den heute noch aktuellen Regelfall zutreffend erfasst und beschrieben haben: "Das Interesse und die Bedeutung eines Verfahrens wird nicht dadurch geringer, dass sich die Eltern rasch über eine Regelung einigen. Bescheidene Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern rechtfertigen kein Abweichen vom Regelwert."

Solange demgemäß keine ins Auge fallenden Gründe für eine Abweichung vom Regelwert streiten, ist mit dem OLG zutreffend davon auszugehen, dass eine Absendung nach § 45 Abs. 3 FamGKG auch nicht in Betracht kommt.

FAFamR Lotte Thiel, Koblenz

[1] Otto/Klüsener/Killmann, Das neue Kostenrecht, Anmerkung zu § 45 FamGKG; Klüsener, in: Prütting/Helms, § 45 FamGKG Rn 9.
[2] BT-Drucks. 16/6308, S. 301.
[3] Schneider/Wolf/Volpert, § 45 Rn 18.
[4] BT-Drucks 16/6308 S. 306.
[5] OLG Hamburg, Beschl. v. 19. 4. 1982 – 2 WF 69/82, AnwBl. 1982, 486.

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