RVG VV Nrn. 2300, 2302
Leitsatz
Die Erstattung einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr kommt nur dann in Betracht, wenn eine vorgerichtliche Tätigkeit des Anwalts auch notwendig war. Daran kann es fehlen, wenn bereits feststeht, dass der Schuldner freiwillig nicht erfüllen wird. Ob lediglich eine Geschäftsgebühr für ein einfaches Schreiben angefallen ist, richtet sich nicht nach dem Erscheinungsbild des Aufforderungsschreibens, sondern nach dem erteilten Auftrag.
BGH, Urt. v. 26.2.2013 – XI ZR 345/10
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte die beklagte Bank wegen Beratungsfehlern in Anspruch genommen und u.a. auch Ersatz seiner Rechtsanwaltskosten in Höhe einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV nebst Auslagen und Umsatzsteuer verlangt, die er zur vorgerichtlichen Zahlungsaufforderung aufgewandt haben will. Das Gericht hat einen Schadensersatzanspruch bejaht und auch die geltend gemachten Anwaltskosten zugesprochen. Mit der Revision wendet sich die Beklagte auch gegen die dem Kläger zuerkannte Geschäftsgebühr. Sie trägt vor, eine Geschäftsgebühr sei nicht angefallen, da bereits Klageauftrag bestanden hätte. Zudem wäre nur eine 0,3-Gebühr für ein einfaches Schreiben angefallen. Der BGH hat das Urteil des OLG aufgehoben, weil die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs in der Hauptsache nicht hinreichend festgestellt worden seinen. In diesem Zusammenhang hat er auch zu den vorgerichtlichen Kosten ausgeführt.
2 Aus den Gründen
Bezüglich der nur vorsorglichen Revisionsangriffe gegen die vom Berufungsgericht zuerkannten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weist der Senat auf Folgendes hin:
Die Revision hat keinen Erfolg mit ihrem Einwand, es bestehe allenfalls Anspruch auf Ersatz einer Gebühr gem. Nr. 2302 VV, weil es sich bei dem vorgerichtlichen Schreiben des Klägervertreters um ein vorformuliertes Massenschreiben gehandelt habe. Bei dem Anspruchsschreiben handelt es sich offensichtlich nicht um ein solches "einfacher Art" (vgl. Jungbauer in Bischof, RVG, 5. Aufl., VV 2302 Rn 6; Hartmann, KostG, 42. Aufl., VV 2302 Rn 3 m. w. Nachw.). Im Übrigen kommt es nicht nur auf die tatsächlich entfaltete Tätigkeit des Rechtsanwalts, sondern maßgeblich auf Art und Umfang des erteilten Mandats an (BGH, Urt. v. 23.4.1983 – III ZR 157/82, NJW 1983, 2451, 2452 zu § 120 Abs. 1 BRAGO).
Der Revision ist allerdings zuzugeben, dass das Anspruchsschreiben auch auf einem Mandat zur gerichtlichen Forderungsdurchsetzung beruhen könnte und in diesem Fall durch die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV abgegolten wäre (vgl. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 RVG; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 20. Aufl., VV 2300, 2301 Rn 6; Onderka/Wahlen, in: Schneider/Wolf, AnwK-RVG, 6. Aufl., VV Vorbem. 2.3 Rn 12 f. m.w.Nachw.). Ob auch eine Verfahrensgebühr nach Nr. 2300 VV entstanden ist, hängt wiederum von Art und Umfang des vom Zedenten erteilten Mandats ab, wozu der Kläger bislang noch nicht ausreichend vorgetragen hat. Ein nur bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV, entgegen der Auffassung der Revision, allerdings nicht entgegen (BGH, Urt. v. 1.10.1968 – VI ZR 159/67, NJW 1968, 2334; OLG Celle JurBüro 2008, 319; OLG Hamm NJW-RR 2006, 242; Jungbauer in Bischof, RVG, 5. Aufl., Vorbem. 2.3 VV Rn 27; Schons in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., 2300 VV Rn 18; a.A. OLG München WM 2010, 1622, 1623; Hartmann, KostG, 42. Aufl., VV 2300 Rn 3).
Der Revision ist des Weiteren zuzugeben, dass ein Schädiger nach der ständigen Rspr. des BGH nur jene durch das Schadensereignis verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen hat, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urt. v. 10.1.2006 – VI ZR 43/05, NJW 2006, 1065 u. v. 23.10.2003 – IX ZR 249/02, NJW 2004, 444, jeweils m.w.Nachw.). Ist der Gläubiger bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig (vgl. OLG Celle JurBüro 2008, 319 [= AGS 2008, 161]; OLG Hamm, NJW-RR 2006, 242; OLG München, WM 2010, 1622). Insoweit kommt es allerdings auf die (Gesamt-)Umstände des Einzelfalls an, deren Würdigung dem Tatrichter obliegt (vgl. Senatsurt. v. 8.5.2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337).
3 Anmerkung
Auch wenn der BGH hier nicht abschließend entscheiden musste, gibt er für die Praxis wichtige Hinweise. Zum einen hält er an seiner Auffassung fest, die im RVG zwischenzeitlich auch Gesetz geworden ist, nämlich dass es für die Gebührenreduzierung nach Nr. 2302 VV auf den Auftrag und nicht auf den Inhalt ankommt. Zum zweiten weist er darauf hin, dass ein bedingter Prozessauftrag gebührenrechtlich irrelevant ist, solange die Bedingung nicht eingetreten ist. Er stellt aber auch klar, dass sinnlose außergerichtliche Tätigkeiten nicht erstattungsfähig sind, nämlich dann, wenn ersichtlich ist, dass der Schuldner freiwillig nicht leisten wird.
Norbert Schneider