ZPO §§ 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, 122 Abs. 1
Leitsatz
- Die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe erstreckt sich auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Bewilligungsbeschluss auf die Reisekosten der Partei.
- Über ihre konkrete Bewilligung entscheidet das Gericht.
- Einer vorherigen Geltendmachung der Reisekosten bedarf es als deren Erstattungsvoraussetzung nicht. Sie ist gesetzlich nicht vorgesehen.
- Ein bedürftiger Verfahrensbeteiligter unterliegt einem Sparsamkeitsgebot, um unnötige finanzielle Belastungen zu vermeiden (vgl. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO) und die öffentliche Kasse nicht über Gebühr zu beanspruchen.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 2.5.2013 – 13 UF 127/11
1 Sachverhalt
Die Antragstellerin, der in einer Kindesunterhaltssache Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden und deren persönliches Erscheinen zu einem Termin um 9:30 Uhr angeordnet worden war, begehrt nachträglich die Erstattung von Fahrtkosten zu diesem Termin in Höhe von 124,49 EUR. Zur Begründung führt sie aus, mit dem Pkw ihrer Mutter angereist zu sein, um unverhältnismäßigen Zeitaufwand und eine Abreise von Prenzlau schon um 6:00 Uhr morgens zu vermeiden.
Das OLG hat dem Antrag überwiegend stattgegeben.
2 Aus den Gründen
1. Die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe erstreckt sich – vor der ZPO-Reform in analoger Anwendung von § 122 Abs. 1 ZPO (vgl. BGHZ 64, 139), nach der ZPO Reform jedenfalls richterrechtlich anerkannt – auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Bewilligungsbeschluss auf die Reisekosten der Partei, vorliegend erfasst als Auslagen für Zahlungen an mittellose Personen in Nr. 2007 Nr. 2 FamGKG-KostVerz. Über ihre konkrete Bewilligung entscheidet das Gericht (vgl. BGHZ 64, 139; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 122, Rn 27 m.w.Nachw.).
a) Die Reisekosten sind dem Grunde nach erstattungsfähig, denn die Reise war aufgrund der Terminsladung nötig.
Eine vorherige Geltendmachung der Kosten ist als Erstattungsvoraussetzung gesetzlich nicht vorgesehen. Vielmehr geht die VwV Reiseentschädigung – wenn auch bloß als (bundeseinheitliche) untergesetzliche Verwaltungsvorschrift – auch bei mittellosen Personen ohne weiteres von der Möglichkeit einer nachträglichen Geltendmachung aus, wie sich aus Nr. 1.3 ergibt: Danach erlischt der Anspruch auf Gewährung von Reiseentschädigung, wenn er nicht binnen drei Monaten nach der Reise geltend gemacht wird. Ist bei dieser Regelungslage auch für mittellose Personen problemlos eine nachträgliche Geltendmachung möglich, so bleibt bei nachträglicher Geltendmachung für die Vermutung einer fehlenden Mittellosigkeit kein Raum. Zudem ist die Mittellosigkeit bereits vor Erlass des Bewilligungsbeschlusses zur Verfahrenskostenhilfe geprüft und regelmäßig, wie auch hier, für das laufende Verfahren in vertrauensbegründender Weise bejaht worden; eine – ohnehin dem Rechtspfleger zugewiesene – Änderungsprüfung (vgl. § 120 Abs. 4 ZPO) ist für Zeiten des laufenden Verfahrens in aller Regel auch nicht veranlasst.
b) Nach Nr. 2007 Nr. 2 FamGKG-KostVerz. kommt eine Erstattung bis zur Höhe der nach dem JVEG an Zeugen zu zahlenden Beträge in Betracht. Insoweit können gem. §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 5 JVEG die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder eines eigenen oder überlassenen Kraftfahrzeuges ersetzt werden. Unter diesen Alternativen hat ein bedürftiger Verfahrensbeteiligter, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, regelmäßig die preiswertere zu wählen, um unnötige finanzielle Belastungen zu vermeiden (vgl. § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 ZPO) und die öffentliche Kasse nicht über Gebühr zu beanspruchen.
Die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel betragen bei der Strecke von Prenzlau nach Brandenburg/OLG für eine Tageskarte im Ermäßigungstarif, der der Antragstellerin als Auszubildende offen steht, 26,00 EUR.
2. Die Erstattung weitergehender Kosten scheidet aus.
Besondere Umstände, die die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel unverhältnismäßig erscheinen lassen, hat die Antragstellerin mangels Angaben zur jeweiligen Fahrtzeit schon nicht dargetan. Eine Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel um 6:00 morgens begründet keine Unzumutbarkeit, sondern stellt eine Normalität zahlreicher Berufstätiger dar.
Im Übrigen dauert die Fahrt von Prenzlau nach Brandenburg/OLG mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur etwa drei Stunden, während die von der Antragstellerin nicht mitgeteilte Fahrtzeit bei Anreise mit einem Pkw nach allgemein zugänglichen Routenplanern bereits bei freier Strecke mehr als zwei Stunden beträgt. Berücksichtigt man notwendige Zeitreserven für Stau und Berufsverkehr, reduziert sich eine mögliche Zeitersparnis auf deutlich weniger als eine Stunde pro Fahrt, allerdings insgesamt verbunden mit Mehrkosten von nahezu 100,00 EUR. Bei dieser Sachlage verstößt die bedürftige Antragstellerin gegen das sie treffende Sparsamkeitsgebot, indem sie ein ihr überlassenes Kraftfahrzeug für die Anreise benutzt; die hierfür beanspruchten Kosten sind unnötig, unangemessen und auch deshalb nicht erstattungsfähig.