Leitsatz
Für den "Beginn der Beratungshilfetätigkeit" in § 6 Abs. 2 BerHG ist eine Tätigkeit der Beratungsperson in Form einer rechtlichen Beratung, das heißt einer rechtlichen Prüfung des Einzelfalls, erforderlich.
AG Königswinter, Beschl. v. 29.12.2014 – 4 II 525/14
1 Sachverhalt
Der Antragsteller suchte am 18.8.2014 das Büro seines Prozessbevollmächtigten auf, legte dort ein Schreiben der Prozessbevollmächtigten seiner getrennt lebenden Ehefrau vor und begehrte Beratung. Zudem unterzeichnete er eine Vollmacht. Da sich der Prozessbevollmächtigte zu dieser Zeit im Urlaub befand, setzte seine Kanzleikollegin ein Schreiben an die Prozessbevollmächtigte der Ehefrau auf, in der sie die Interessenwahrnehmung anzeigte, auf die urlaubsbedingte Abwesenheit und auf die Tatsache einer Terminsvereinbarung für den 29.8.2014 hinwies. Eine rechtliche Beratung fand am 18.8.2014 nicht statt. Am 29.8.2014 fand sodann ein Beratungsgespräch zwischen dem Antragsteller und seinem Prozessbevollmächtigten statt und der Antragsteller füllte einen Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe aus. Diesen Antrag übersandte sein Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 23.9.2014, eingegangen bei Gericht am 24.9.2014, nebst des bislang erfolgten Schriftverkehrs zwischen den Prozessbevollmächtigten der Eheleute und eines Schreibens des Jobcenters.
Das Gericht lehnte die Bewilligung von Beratungshilfe unter Hinweis auf den Ablauf der von § 6 Abs. 2 S. 2 BerHG gesetzten Vier-Wochen-Frist ab. Zur Begründung führte es aus, dass es nicht auf die eigentliche Beratung vom 29.8.2014, sondern auf das erste Tätigwerden im Rahmen der Beratungshilfe mit Schreiben vom 18.8.2014 an die Gegenseite für den Fristbeginn ankomme.
Gegen Beschluss legte der Antragsteller Erinnerung ein. Seiner Auffassung nach kommt es für den Beginn der Frist des § 6 Abs. 2 S. 2 BerHG auf den Tag der Beratung und nicht auf die Vereinbarung eines Termins und die Bitte an die Gegenseite um Fristverlängerung an.
2 Aus den Gründen
Die zulässige Erinnerung ist begründet. Der Beschluss des AG war aufzuheben und dem Antragsteller Beratungshilfe zu bewilligen.
Der Antragsteller ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, seine Rechte in der vorgerichtlichen Trennungsphase wahrzunehmen, § 1 Abs. 1 BerHG. Ihm stehen keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung und die Beratungshilfe erscheint im vorliegenden Fall auch nicht mutwillig, § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 BerHG.
Der Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe war auch nicht verfristet i.S.d. § 6 Abs. 2 S. 2 BerHG.
Der für die Frage des Fristbeginns nach § 6 Abs. 2 S. 2 BerHG entscheidende Begriff des Beginns der "Beratungshilfetätigkeit" ist gesetzlich nicht definiert.
Sinn und Zweck der mit Gesetz vom 18.6.1980 eingeführten Beratungshilfe ist es zu gewährleisten, dass bedürftige Bürgerinnen und Bürger sich außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens sachkundigen Rechtsrat verschaffen können (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks 17/11472, S. 20). Grundsätzlich möchte der Gesetzgeber, dass sich der Antragsteller zunächst an das AG wendet, Beratungshilfe beantragt und anschließend nach der Bewilligung eine Beratungsperson aufsucht (vgl. Gesetzesbegründung, a.a.O., S. 40). Das sofortige Aufsuchen einer Beratungsperson ist aber weiterhin möglich und nur durch die neu eingeführte Frist zur nachträglichen Antragstellung binnen vier Wochen eingeschränkt.
In § 1 Abs. 1 BerHG wird von der "Hilfe bei der Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ..." als Umschreibung des Begriffs der "Beratungshilfe" gesprochen. In § 2 BerHG wird der Begriff der Beratungshilfe weiter konkretisiert, indem dort von dem Bestehen der Beratungshilfe "in Beratung und, soweit erforderlich, in Vertretung" (Abs. 1) "in allen rechtlichen Angelegenheiten" (Abs. 2) gesprochen wird.
Hieraus ergibt sich auch in Anlehnung an den in § 2 Abs. 1 RDG definierten Begriff der Rechtsdienstleistung (als "jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert"), dass für den Begriff des Beginns der Beratungshilfetätigkeit eine Tätigkeit in Form einer rechtlichen Beratung, d.h. einer rechtlichen Prüfung des Einzelfalls, erforderlich ist.
Nach dieser Definition begann die Beratungshilfetätigkeit im vorliegenden Fall am 29.8.2014, als der Antragsteller seinen Prozessbevollmächtigten aufsuchte und von diesem in einem Beratungsgespräch rechtlich beraten wurde. Das vor diesem Beratungstermin von der Urlaubsvertreterin verfasste Schreiben v. 18.8.2014 an die Gegenseite des Antragstellers, in dem die Interessenwahrnehmung angezeigt, auf die urlaubsbedingte Abwesenheit und auf die Tatsache einer Terminsvereinbarung für den 29.8.2014 hingewiesen wurde, ist nicht unter diese Definition zu subsumieren. Eine rechtliche Beratung in Form einer rechtlichen Prüfung des Einzelfalls fand am 18.8.2014 nicht statt.
AGS 5/2015, S. 238