Leitsatz
Die Formulierung, dass die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss einer Vereinbarung erstreckt wird, kann auch außerhalb der Regelung des § 48 Abs. 3 RVG dazu führen, dass dem beigeordneten Rechtsanwalt für einen Mehrvergleich über nicht rechtshängige Ansprüche eine Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr aus der Staatskasse zu erstatten sind.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 18.2.2016 – 8 WF 339/15
1 Sachverhalt
Zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner war unter dem im Rubrum genannten Aktenzeichen ein Familienverfahren wegen Trennungsunterhalts anhängig, sowie ein Scheidungsverfahren. In der mündlichen Verhandlung zum Unterhaltsverfahren haben die damaligen Eheleute nach ausführlicher Erörterung der gesamten familiären und finanziellen Situation einen Vergleich zur Regelung des Trennungsunterhalts und der Scheidungsfolgen geschlossen (Kindesunterhalt, nachehelicher Unterhalt, Wohnungsrecht; Versorgungsausgleich). Auf Antrag hat der Familienrichter die der Antragstellerin bereits für das Trennungsunterhaltsverfahren bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf den Abschluss der getroffenen Vereinbarung erstreckt.
Auf die Erinnerung der Verfahrensbevollmächtigten hat der Familienrichter den Festsetzungsbeschluss des Rechtspflegers abgeändert und ihr auch die Erstattung einer Differenzverfahrensgebühr und einer Differenzterminsgebühr hinsichtlich der nicht anhängigen, aber in die Vereinbarung einbezogenen Gegenstände zugesprochen.
Dagegen wendet sich die Bezirksrevisorin unter Hinweis auf die überwiegende Auffassung unter den Oberlandesgerichten und auf eine Entscheidung des BGH zum Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren (NJW 2004, 2595). Anders als im Scheidungsverbundverfahren stehe dem beigeordneten Rechtsanwalt bei einem Mehrvergleich über nicht rechtshängige Gegenstände in Zivilverfahren und isolierten Familienverfahren lediglich die Einigungsgebühr aus dem erhöhten Wert zu. Im Falle einer uneingeschränkten Beiordnung zum Mehrwert des Vergleichs würde im Ergebnis die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erfolgen, ohne dass die zuvor nach §§ 113, 114 ZPO erforderliche Prüfung der Erfolgsaussicht erfolgt sei. § 48 Abs. 3 RVG sei als ausdrückliche Spezialregelung, wie jedenfalls durch die Neuregelung durch das 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz klargestellt sei, nicht analogiefähig.
2 Aus den Gründen
Die nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 bis 8 RVG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des Familienrichters, dass sich die Erstreckung der Beiordnung durch den Beschluss im Termin auf alle mit der Herbeiführung der Einigung erforderlichen Tätigkeiten bezieht, also auch auf die angefallene 0,8-Verfahrensgebühr (Nr. 3101 Nr. 2 VV) und die Differenzterminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 2 VV.
Gem. § 48 Abs. 1 RVG richtet sich der Vergütungsanspruch des im Wege der Verfahrenskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts nach dem Beschluss, durch den Verfahrenskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Die Frage nach der Erstattung zweifelsfrei angefallener Gebühren ist daher in erster Linie eine solche nach der Auslegung des Bewilligungsbeschlusses (OLG Köln, Beschl. v. 29.4.2013 – 25 WF 235/12, AGS 2013, 350).
Vor der Neufassung des § 48 Abs. 3 RVG durch das 2. KostRMoG war (auch) bei Mehrvergleichen in Ehesachen in der Rspr. streitig, ob sich die Beiordnung in der Ehesache auch auf die durch den Abschluss des Vergleichs ausgelöste Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr erstreckt (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Aufl., § 48 Rn 164 ff.; AnwK-RVG/Fölsch/Schafhausen/N. Schneider/Thiel, § 48 Rn 15; bejahend OLG Stuttgart (Senat) FamRZ 2008, 1010). Diesen Streit hat der Gesetzgeber durch die Neufassung von § 48 Abs. 3 RVG dahingehend entschieden, dass im Falle eines Vertragsabschlusses alle in diesem Zusammenhang anfallenden Gebühren zu erstatten sind. Nur auf diese Weise erhielten Parteien mit geringem Einkommen die gleiche Möglichkeit, ihre Streitigkeiten umfangreich beizulegen, wie Parteien mit ausreichend hohem Einkommen (BT-Drucks 17/11471, S. 470).
Für den Mehrvergleich außerhalb von Ehesachen (§ 48 Abs. 5 RVG) blieb die Frage, ob im Falle einer ausdrücklichen Erstreckung der Beiordnung auf den Abschluss einer getroffenen Vereinbarung dadurch auch die Erstattung der Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühr erfasst ist, streitig (verneinend, meist mit Hinweis auf ein Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 48 RVG, u.a.: OLG Celle – 10 WF 28/15, AGS 2015, 236; OLG Dresden AGS 2015, 289; OLG Koblenz AGS 2014, 1877; OLG Köln – 12 WF 130/14, AGS 2015, 89; bejahend: OLG Celle – 15 UF 166/13, AGS 2014, 580; N. Schneider, NZFam 2015, 231; AnwK-RVG, a.a.O.; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Rn 168 ff.).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
Ausgangspunkt ist gem. § 48 Abs. 1 RVG der die Beiordnung aussprechende Beschluss. Schon bisher lag es nahe, dass von Formulierungen wie "für den Abschluss eines Vergleichs" oder "auf den Abschluss der getroffenen Vereinbarung erstreckt" n...