ZPO § 522 Abs. 2 S. 1; BGB § 535 Abs. 1
Leitsatz
- Wird eine Klage des Mieters gegen den Vermieter auf Zustimmung zur Tierhaltung in der gemieteten Wohnung abgewiesen, erfordert die Beurteilung, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes einer dagegen gerichteten Berufung die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO übersteigt, eine umfassende Betrachtung des auf die begehrte Tierhaltung in der Mietwohnung gerichteten Interesses des Mieters. Das schließt subjektive Gesichtspunkte ein, weil die Wohnung für jedermann Mittelpunkt seiner privaten Existenz ist und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens ermöglicht. Daher sind nicht nur objektive Kriterien, sondern namentlich die Beweggründe und Bedürfnisse des Mieters zu berücksichtigen.
- Diese Gewichtung lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall vornehmen, weil die zu berücksichtigenden Umstände individuell und vielgestaltig sind, so dass sich jede schematische Lösung verbietet (Fortentwicklung der Senatsurt. v. 14.11.2007 – VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218 Rn 19; v. 20.3.2013 – VIII ZR 168/12, NJW 2013, 1526 Rn 19).
BGH, Beschl. v. 30.1.2018 – VIII ZB 57/16
1 Sachverhalt
Die mittlerweile im Rentenalter befindlichen Kläger sind Mieter einer in B. gelegenen Wohnung der Beklagten und hielten dort fast vierzig Jahre Hunde, zuletzt eine Schäferhündin. Nach deren Tod baten die Kläger die Beklagte vergeblich, die Haltung eines neuen Hundes in der Wohnung zu genehmigen. Die Beklagte machte geltend, die Kläger hätten mit ihrem vorherigen Hund den Hausfrieden gestört und Gemeinschaftsflächen nicht vertragsgemäß genutzt.
Unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, wonach die Hundehaltung "für die psychische Situation [der Kläger] sinnvoll" sei, haben diese beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihnen die Haltung eines Hundes, der älter als vier Jahre, erzogen und ruhig, maximal 30 cm groß sowie maximal 75 cm lang sei – mit Ausnahme eines Kampfhundes, eines Dobermanns, eines Rottweilers und dergleichen – zu genehmigen.
Das AG hat die Klage abgewiesen. Zwar sei die von der Beklagten verwendete mietvertragliche Formularbestimmung, wonach nahezu jedwede Tierhaltung in der gemieteten Wohnung genehmigungsbedürftig sei, wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters unwirksam (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB). Der geltend gemachte Anspruch stehe den Klägern aber dennoch nicht zu, weil sie ihre vorherige Hündin in einer den Hausfrieden störenden Weise gehalten und Gemeinschaftsflächen nicht vertragsgemäß genutzt hätten; es sei nicht zu vermuten, dass sich eine zukünftige Hundehaltung anders gestalte. Den Gebührenstreitwert hat das AG auf 1.200,00 EUR festgesetzt und zur Begründung das "Interesse der Kläger" und insbesondere den Umstand angeführt, "dass diese sich auch auf medizinische Gründe berufen" hätten.
Gegen das Urteil des AG haben die Kläger Berufung eingelegt. Nach einem entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden der Berufungskammer hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von mehr als 600,00 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) sei nicht erreicht. Die Kammer bemesse das Interesse eines Mieters an der Haltung eines Tieres in der gemieteten Wohnung regelmäßig mit 400,00 EUR. Ob das wirtschaftliche Interesse des Mieters in besonders gelagerten Einzelfällen höher bewertet werden könne, bedürfe keiner Entscheidung, weil ein solcher Ausnahmefall ersichtlich nicht vorliege.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
2 Aus den Gründen
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rspr. eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die Entscheidung des Berufungsgerichts verletzt die Kläger in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), das es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren.
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.
a) Allerdings hat die Rechtsbeschwerde unter den hier gegebenen Umständen nicht schon deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht die aus seiner Sicht gebotene Entscheidung, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind, nicht nachgeholt hat.
aa) Nach der Rspr. des BGH hat das Berufungsgericht zwar, bevor es die Berufung mangels – aus seiner Sicht – nicht ausreichender Beschwer verwerfen darf, eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, wenn das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 ZP...