Leitsatz
Zinsen und vorprozessuale Anwaltskosten sind als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen, wenn der Hauptanspruch selbst übereinstimmend ganz oder teilweise für erledigt erklärt worden ist.
BGH, Beschl. v. 4.4.2012 – IV ZB 19/11
1 Sachverhalt
Der Kläger begehrte aus einer bei der Beklagten gehaltenen privaten Krankenversicherung Erstattung von Arztkosten in Höhe von ursprünglich insgesamt 809,79 EUR und vorprozessualen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 186,24 EUR, jeweils nebst Zinsen. In erster Instanz haben die Parteien nach einer Zahlung der Beklagten in Höhe von 169,78 EUR den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das AG hat die Beklagte zur Zahlung weiterer 69,69 EUR verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der Berufung hat der Kläger seine Klageforderung, soweit sie nicht erfüllt oder ihr nicht stattgegeben worden war, weiterverfolgt. Das LG hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Beschwer des Klägers lediglich 570,32 EUR betrage und damit nicht die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreiche. Die auf den erledigten Teil der Hauptforderung anfallenden Nebenforderungen seien durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen nicht zur Hauptforderung geworden.
2 Aus den Gründen
Das Rechtsmittel ist zulässig und begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4 ZPO) und zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rspr. eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Berufung sei im Hinblick auf die Wertgrenze des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unzulässig, verletzt den Kläger in seinem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (std. Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 m. w. Nachw.).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung des Klägers kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verworfen werden. Der Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung übersteigt die Wertgrenze von 600,00 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
a) Das Berufungsgericht hat verkannt, dass mit der Berufung weiterverfolgte Nebenforderungen i.S.v. § 4 Abs. 1 ZPO bei der Rechtsmittelbeschwer zu berücksichtigen sind, soweit sie Hauptforderung geworden sind. Nach ständiger Rspr. des BGH erhöhen die anteiligen Prozesskosten nach übereinstimmender Teilerledigungserklärung den (Streitwert und) Wert der Beschwer zwar nicht, solange auch nur der geringste Teil der Hauptsache noch im Streit ist (BGH, Beschl. v. 20.9.1962 – VII ZB 2/62, NJW 1962, 2252; zuletzt Beschl. v. 31.3.2011 – V ZB 236/10, NJW-RR 2011, 1026 m. w. Nachw.). Etwas anderes gilt aber für den Anspruch auf Zinsen und Ersatz vorprozessualer Rechtsanwaltskosten.
Diese erhöhen als Nebenforderungen den Streitwert und die Beschwer nicht, solange sie neben dem Hauptanspruch geltend gemacht werden, für dessen Verfolgung die Zinsen und Rechtsanwaltskosten angefallen sind. Sobald und soweit die Hauptforderung jedoch nicht mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil eine auf die Hauptforderung oder – wie hier – auf einen Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung beiderseitig erklärt worden ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung gelöst hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (BGH, Beschl. v. 4.12.2007 – VI ZB 73/06, NJW 2008, 999; v. 11.1.2011 – VIII ZB 62/10, WuM 2011, 177; v. 31.3.2011 a.a.O.).
b) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes hier 600,00 EUR übersteigt und die Berufung zulässig ist. Von der ursprünglich geltend gemachten Hauptforderung ist Gegenstand des Berufungsverfahrens noch der nicht zugesprochene Teilbetrag von 570,21 EUR. Selbst wenn nur prozentual anteilig in Höhe des für erledigt erklärten Teils die vorprozessualen Rechtsanwaltskosten hinzugerechnet werden, übersteigt der Beschwerdewert die Wertgrenze von 600,00 EUR (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), ohne dass es noch auf die darüber hinaus gesondert geltend gemachten Zinsen ankommt.