Über die kuriose Rechtsprechung zur Reisekostenerstattung hatten wir bereits im letzten Editorial berichtet.
Das LG Neuruppin (S. 307 in diesem Heft) hat jetzt einen neuen Grund gefunden, die Erstattung von Reisekosten des Anwalts abzulehnen, nämlich das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Täter und Opfer im Strafprozess (siehe auch wikipedia: "Stockholm-Syndrom").
Was war geschehen?
Nach einer Straftat hatte das Opfer es gewagt, sich nicht nur mit der Nebenklage der öffentlichen Klage anzuschließen, sondern auch noch, seine Schadenersatzansprüche im Wege des Adhäsionsverfahrens geltend zu machen. Dazu hatte die Geschädigte einen Anwalt an ihrem Wohnsitz beauftragt, der für die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen zum auswärtigen Gericht reisen musste. Der Angeklagte ist verurteilt worden, und zwar auch zur Zahlung von Schadenersatz. Hiernach meldete die Partei die Erstattung ihrer Anwaltskosten an, darunter auch die Reisekosten ihres Anwalts. Sie war der Auffassung, entsprechend der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v. 16.10.2002 – VIII ZB 30/02, AGS 2003, 97) sei eine Partei doch grundsätzlich immer berechtigt, einen Anwalt an ihrem eigenen Wohnort zu beauftragen und dessen Reisekosten vom Gegner erstattet zu verlangen.
Dem LG Neuruppin ist diese Rspr. zwar bekannt. Nach seiner Auffassung gilt sie aber nur in Zivilsachen. In Strafsachen verhalte es sich nämlich anders. Hier bestehe ein besonderes Verhältnis zwischen Täter und Opfer, was dieses dazu verpflichte, besonders behutsam bei der Verursachung möglicher Kosten vorzugehen. Den Geschädigten treffe hier also eine besonders hohe Schadensminderungspflicht, die es ihm verbiete, einen ortsansässigen Anwalt zu nehmen, der 0,30 EUR je Kilometer und ein Abwesenheitsentgelt berechnet. Stattdessen sei es doch viel günstiger, wenn die Partei selbst zu einem Informationsgespräch fährt, das dann nur 0,25 EUR je Kilometer kostet und kein Abwesenheitsgeld verursacht.
Begründet wird diese besondere Schadensminderungspflicht dann auch noch damit, dass der Beschuldigte – anders als in der Zivilsache – keine Möglichkeit habe, vorgerichtlich zu regulieren, um damit die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu vermeiden. Auch dies ist einfach ausgedrückt "Unsinn". Auch ein Beschuldigter kann vorgerichtlich Schadenersatz leisten. Er tut sogar gut daran, da er dann im gerichtlichen Verfahren ein milderes Urteil erwarten kann.
Abgesehen davon minimiert ein Adhäsionskläger schon die zu erstattenden Kosten, da die Anwaltsgebühren im Adhäsionsverfahren mit 2,0 bereits niedriger liegen als die Kosten in einem Zivilverfahren mit 2,5. Darüber hinaus werden auch geringere Gerichtsgebühren ausgelöst. Wieso ein Geschädigter dann nach dem Motto "Wenn dich einer auf die eine Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin" auch noch Reisekosten ersparen muss, ist schlichtweg nicht mehr nachzuvollziehen.
Wie so häufig wird der Schutz des Straftäters höher bewertet als der Schutz des Opfers. Das ist in Deutschland aber nichts Neues.
Autor: Norbert Schneider
Norbert Schneider
AGS 6/2014, S. II