RVG § 15 Abs. 4 RVG VV Nr. 4141 StPO § 170 Abs. 2
Leitsatz
Wird ein Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts eingestellt und später wieder fortgesetzt, bleibt dem Verteidiger die durch die Einstellung entstandene Zusätzliche Gebühr auch dann erhalten, wenn das Verfahren später wieder aufgenommen wird.
AG Tiergarten, Beschl. v. 26.2.2014 – (257 Ds) 261 Js 2796/12/12 (54/13), 257 Ds 54/13
1 Sachverhalt
Das vorbereitende Verfahren war nach § 170 Abs. 2 StPO zunächst mangels Tatverdachts eingestellt worden. Später nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder auf und erhob Anklage. Im gerichtlichen Verfahren wurde die Angeklagte freigesprochen. Ihre notwendigen Auslagen hatte die Staatskasse zu tragen. Daraufhin meldete die Verteidigerin die entstandenen Anwaltskosten zu Festsetzung an, darunter auch eine Zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV i.H.v. 140,00 EUR, da das vorbereitende Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt worden sei. Die Rechtspflegerin hat diese Gebühr abgesetzt und dies wie folgt begründet: "..., da nicht durch die Mitwirkung der Rechtsanwältin eine Hauptverhandlung entbehrlich geworden ist. Durch die Anwältin erfolgte eine Stellungnahme zur Sache. Daraufhin hat die Anklagebehörde die Sache gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (mit RM-Belehrung). Auf das Rechtsmittel der Geschädigten wurde das Verfahren sofort wieder aufgenommen. Die Einstellung war daher nicht rechtskräftig. Der Angeklagte wurde letztendlich in einer Hauptverhandlung freigesprochen. Eine Erstattung gem. Nr. 4141 VV ist daher nicht möglich. Bei einer späteren Wiederaufnahme, z.B. nach 2 Jahren, könnte diese Gebühr entstehen."
Hiergegen hatte die Freigesprochene Erinnerung eingelegt und dies wie folgt begründet: "Das Ermittlungsverfahren kann vielmehr jederzeit von der Staatsanwaltschaft aus unterschiedlichen Gründen wieder aufgenommen werden. Trotzdem ist unstreitig, dass die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO eine solche ist, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen die Gebühr 4141 anfallen lässt (...). Dies ist bei der Entscheidung nach § 170 Abs. 2 StPO der Fall. Ob oder wann gegebenenfalls das Verfahren nach der Einstellung doch wieder aufgenommen wird, und aus welchen Gründen die Wiederaufnahme der Ermittlungen erfolgt, kann an dem Anfall der Gebühr schon zum Zeitpunkt der ergangenen Einstellungsentscheidung nichts mehr ändern."
Die Erinnerung hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Das Gericht tritt der Argumentation der Erinnerungsführerin bei. In der Tat kann bei der Frage für den Anfall der Gebühr Nr. 4141 VV bei einer Verfahrenseinstellung gem. § 170 Abs. 2 StPO nicht von maßgeblicher Bedeutung sein, wann und unter welchen Umständen die Wiederaufnahme erfolgt. Tatsache ist, dass die Anklagebehörde zunächst das Verfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt hatte. Zu dieser Entscheidung hatte die Erinnerungsführerin durch ihren Schriftsatz vom 11.9.2012 beigetragen. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens war unabhängig von der Beschwerde der Geschädigtenvertreterin für die Anklagebehörde jederzeit – auch nach Ablauf der Beschwerdefrist möglich.
3 Anmerkung
Die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO ist eine "nicht nur vorläufige" i.S.d. Nr. 4141 VV-RVG, denn aus Sicht der einstellenden Behörde sollte sie endgültig sein. Dass sie letztlich keinen Bestand hatte, sondern die Ermittlungen fortgesetzt wurden, ist insoweit unerheblich.
Nach Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV erhält der Verteidiger eine Zusätzliche Gebühr, wenn das Verfahren "nicht nur vorläufig eingestellt" wird. Eine endgültige Einstellung ist daher gerade nicht gefordert, zumal es – abgesehen vom Tode des Angeklagten (§ 206a StPO) – kaum einen Fall der endgültigen Einstellung gibt. So muss sich eine Einstellung nach § 154 StPO nicht als endgültig erweisen. Selbst im Falle einer Einstellung nach § 153 StPO können die Ermittlungen wieder aufgenommen werden, wenn sich der Verdacht eines Verbrechens ergibt. Der Gesetzgeber wollte mit seiner Formulierung lediglich solche Einstellungen ausschließen, die von ihrer Natur nur vorläufig sind, wie beispielsweise die Einstellung nach § 153a StPO bis zur Erfüllung der Auflage oder nach den §§ 154d, 154e StPO. Eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts ist eine nicht nur vorläufige und löst daher die Zusätzliche Gebühr aus. Die Zusätzliche Gebühr kann in einem solchen Fall sogar ein zweites Mal anfallen, nämlich dann, wenn im gerichtlichen Verfahren erneut eingestellt wird oder das Hauptverfahren nicht eröffnet wird.
Norbert Schneider
AGS 6/2014, S. 273 - 274