Leitsatz
- Der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) ist verletzt, wenn schwierige und noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchentschieden" werden (vgl. BVerfG, 13.3.1990 – 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 359 f.; BVerfG, 26.12.2013 – 1 BvR 2531/12).
- Ist das Gericht der Auffassung, dass die Sache Fragen grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, und lässt es deshalb die Revision zu, so sind in aller Regel die Voraussetzungen für eine (rückwirkende) Gewährung von Prozesskostenhilfe gegeben. Das Gericht verhält sich widersprüchlich, wenn es von der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ausgeht, gleichwohl aber Prozesskostenhilfe versagt.
- Hier: Nach den dargelegten Maßstäben hätte das FG im Ausgangsverfahren Prozesskostenhilfe nicht mangels Erfolgsaussichten versagen dürfen, obschon es gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuließ.
BVerfG, Kammerbeschl. v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13
1 Sachverhalt
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein finanzgerichtliches Klageverfahren. Das Gericht lehnte den Antrag als überwiegend unbegründet ab, obgleich es durch Urteil vom selben Tag die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuließ.
I. 1. a) Die Beschwerdeführerin war mit einem ehemaligen Finanzbeamten verheiratet und führte mit ihm zusammen ein Girokonto. Der frühere Ehemann wurde im November 2008 unter anderem wegen Untreue in 37 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Er hatte als für die Bearbeitung von Einkommensteuererklärungen und für die Wartung von Grundinformationsdaten zuständiger Sachbearbeiter des Finanzamts durch Manipulationen im behördlichen EDV-System Steuererstattungen und Festsetzungen von Eigenheimzulagen fingiert und auf diese Weise Auszahlungen auf das eheliche Gemeinschaftskonto in siebenstelliger Gesamthöhe bewirkt. Das Finanzamt forderte die zu Unrecht auf das Gemeinschaftskonto geleisteten Zahlungen gesamtschuldnerisch von der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann durch Rückforderungsbescheide nach § 37 Abs. 2 AO zurück.
b) Das FG wies die von der Beschwerdeführerin erhobene Klage durch nicht angegriffenes Urteil im Wesentlichen als unbegründet ab. Das Finanzamt sei berechtigt gewesen, die ohne Rechtsgrund auf das Gemeinschaftskonto der Eheleute erstatteten Beträge durch Rückforderungsbescheid geltend zu machen, da es sich auch bei einer auf fingierten Steuerbescheiden beruhenden Steuererstattung um eine Steuervergütung und bei deren Rückforderung um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch i.S.d. § 37 Abs. 2 AO handle. Auch die Beschwerdeführerin sei Leistungsempfängerin, da sie als Mitinhaberin des Gemeinschaftskontos die Verfügungsmacht über die Gutschrift der veruntreuten Geldbeträge erlangt habe. Das FG ließ die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, ohne die angenommene grundsätzliche Bedeutung näher zu begründen.
c) Durch nicht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss lehnte der BFH den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Revisionsverfahren ab. Mit ebenfalls nicht angegriffenem Beschluss wies er die Revision als unbegründet zurück.
2. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist der Beschluss des FG v. 16.4.2013 über den von der Beschwerdeführerin im Februar 2009 gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Hauptsacheverfahren vor dem FG. Durch diesen mit der Verfassungsbeschwerde allein angegriffenen Beschluss gewährte das FG der Beschwerdeführerin lediglich in Höhe eines geringeren Teilbetrags, mit dem die Klage Erfolg hatte, rückwirkend für die erste Instanz Prozesskostenhilfe. Im Übrigen wies es den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Das Finanzamt habe einen Rückforderungsanspruch. Zur Begründung nahm das FG im Wesentlichen Bezug auf seine Ausführungen im nicht angegriffenen Beschluss über die Aussetzung der Vollziehung. An seiner dortigen Auffassung halte es fest. Insbesondere stellten die Zahlungen des Finanzamts eine Steuererstattung i.S.d. § 37 Abs. 2 AO dar. Die Beschwerdeführerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf den Beschluss des BFH v. 27.9.2012 – VII B 190/11 (BFHE 238, 526) zur Rückzahlung gezahlter Steuern aufgrund einer Insolvenzanfechtung berufen. Diese Entscheidung betreffe die Frage, ob die Rückzahlung gezahlter Steuern und steuerlicher Nebenleistungen durch das Finanzamt aufgrund einer Insolvenzanfechtung eine Steuererstattung i.S.d. § 37 Abs. 2 AO darstelle. Um diese Frage gehe es im Klageverfahren der Beschwerdeführerin nicht.
II. 1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin vor allem die Verletzung ihres Rechts auf Rechtsschutzgleichheit.
Das FG habe in der angegriffenen Ablehnung der Prozesskostenhilfe für die erste Instanz die wesentlichen grundrechtlichen Aspekte der Rechtsschutzgleichheit verkannt. Es sei grundrechtswidrig, Prozesskostenhilfe in einem Verfahren zu versagen, in dem die Revision zugelassen werde. Es erscheine widerspr...