RVG §§ 15 Abs. 2, 32 Abs. 1
Leitsatz
- In durch Trennung verselbstständigten Verfahren fallen Gebühren aus dem jeweiligen geringeren Streitwert mit der Trennung erneut an.
- § 15 Abs. 2 RVG hindert lediglich eine kumulative Forderung der anteiligen Gebühr aus dem Gesamtstreitwert und der Gebühr aus dem Einzelstreitwert; hieraus folgt ein Wahlrecht des Rechtsanwaltes, ob er die Festsetzung der (niedrigeren) Verfahrensgebühr aus dem anteiligen Gesamtstreitwert oder der (höheren) Verfahrensgebühr aus dem Einzelstreitwert nach der Trennung der Verfahren geltend macht.
VG Würzburg, Beschl. v. 4.9.2017 – W 2 M 17.405
1 Sachverhalt
Der Kläger erhob gemeinsam mit 81 weiteren Klägern im Dezember 2015 Klage gegen zwei Bescheide der Beklagten, die zunächst zusammen unter dem Aktenzeichen W 2 K 15.1338 geführt wurden. Von diesem Verfahren wurde mit Beschl. d. Kammer v. 23.12.2015 u.a. das Verfahren des Klägers abgetrennt und unter dem Aktenzeichen W 2 K 15.1392 selbstständig fortgeführt.
Mit Urt. v. 7.12.2016 gab die Kammer der Klage statt. Im Verfahren auf Zulassung der Berufung (4 ZB 17.686) wurde das Urteil infolge der Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache mit Beschluss des Bayerischen VGH v. 16.5.2017 für unwirksam erklärt und der Beklagten die Kosten des Rechtsstreites in beiden Rechtszügen auferlegt.
Daraufhin beantragte der Kläger, ihm die außergerichtlichen Kosten (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr einschließlich Post- und Telekommunikationspauschale) aus einem Streitwert von 1.088,63 EUR i.H.v. 365,93 EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) festzusetzen.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss setzte der Urkundsbeamte die außergerichtlichen Kosten auf 248,48, EUR (einschließlich Mehrwertsteuer) fest. Die Verfahrensgebühr sei vor der Abtrennung aus dem Gesamtstreitwert entstanden und anteilig (23 %) festzusetzen. Gleiches gelte für die Post- und Telekommunikationspauschale.
3. Gegen diesen Beschluss beantragte der Kläger die Entscheidung des Gerichts. Nach der Rspr. des BVerwG seien die Berechnung der Verfahrungsgebühr sowie der Post- und Telekommunikationspauschale unzutreffend. Danach falle nach der Abtrennung von Verfahren die Verfahrensgebühr aus den jeweiligen geringeren Streitwerten neu an, auch wenn aus dem Gesamtstreitwert (anteilig) bereits vor der Trennung eine Verfahrensgebühr entstanden sei. Insbesondere sei die maßgebliche Klagebegründung erst nach der Abtrennung erfolgt. Gleiches gelte für die Post- und Telekommunikationspauschale.
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab und führt in der Stellungnahme im Wesentlichen aus:
Gebühr und Auslage seien bereits vor der Abtrennung entstanden gewesen. Die Verfahrensgebühr sei eine Pauschgebühr, die "nur einmal" entstehe, sobald der Prozessbevollmächtigte irgendeine Tätigkeit zur Ausführung des prozessbezogenen Auftrags vorgenommen habe. Diese Pauschgebühr gelte für die gesamte einschlägige Tätigkeit des Bevollmächtigten in diesem Rechtszug. Dieser könne diese Gebühr in derselben Angelegenheit daher nur einmal fordern (vgl. § 15 Abs. 2 RVG). Wegen der "Einmaligkeit" könne nach der Trennung die Verfahrensgebühr nicht noch einmal entstehen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 30.1.2007 – 25 C 07.161). Dieser Grundsatz gelte auch für die Post- und Telekommunikationspauschale. Auf den weiteren Inhalt der Stellungnahme wird Bezug genommen.
2 Aus den Gründen
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Erinnerung (§§ 165, 151 VwGO) ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, und auch begründet.
1. Der Kläger kann entgegen der Ansicht des Urkundsbeamten die 1,3-fache Verfahrensgebühr aus dem Einzelstreitwert von 1,088,83 EUR und die ungekürzte Post- und Telekommunikationspauschale verlangen.
1.1 Nach. Nr. 3100 VV erhält ein Bevollmächtigter eine 1,3-fache Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Die Gebühr richtet sich vorliegend infolge der Streitwertfestsetzung für die Gerichtsgebühren gem. § 32 Abs. 1 RVG nach dem festgesetzten Streitwert.
Es trifft zu, dass anteilig aus dem festgesetzten Gesamtstreitwert bereits vor der Abtrennung eine 1,3-fache Verfahrensgebühr, wie vom Urkundsbeamten berechnet, entstanden ist. In den durch die Trennung verselbstständigten Verfahren, wie dem vorliegenden, fallen aber trotzdem entsprechende Gebühren aus den jeweiligen geringeren Streitwerten mit der Trennung erneut an. Das hat das BVerwG, als für die Auslegung von Bundesrecht höchstrichterlich zuständige Instanz, bereits entschieden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.9.2009 – 9 KSt 10/09 u.a.), der Bayerische VGH ist dieser Rspr. kürzlich unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren, bereits zitierten, Rspr. (mehrfach) gefolgt (vgl. insb. BayVGH, Beschl. v. 8.8.2017 – 14 C 17.559), ebenso das OVG Brandenburg-Berlin (vgl. OVG Brandenburg-Berlin, Beschl. v. 10.11.2016 – OVG 3 K 97.16).
Etwas anderes folgt auch nicht aus § 15 Abs. 2 RVG. Durch die Trennung sind jeweils rechtlich selbstständige Verfahren entstanden, die gesondert geführt werden und bei denen Gebühren gesondert erneut anfallen (vgl. Rennert, ...