RVG §§ 15a, 55; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4
Leitsatz
- Nach § 15a Abs. 1 RVG bedeutet "Anrechnung" nicht das Erlöschen der einen oder anderen Gebühr in bestimmter Höhe, sondern lediglich eine Begrenzung nach oben, innerhalb derer dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zusteht. Dies gilt auch für den beigeordneten Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse.
- Anzurechnen ist die Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV, § 15a RVG auf die Verfahrensgebühr gem. §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV nur, soweit die Geschäftsgebühr an den beigeordneten Rechtsanwalt tatsächlich gezahlt worden ist. Die bloße Entstehung der Geschäftsgebühr genügt im Verfahren auf Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen nach § 55 RVG nicht.
LAG Nürnberg, Beschl. v. 10.2.2012 – 2 Ta 20/12
1 Sachverhalt
Das ArbG hatte dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Verfahren und den Vergleichsabschluss bewilligt und ihm die Klägervertreterin beigeordnet. Monatsraten wurden nicht festgesetzt. Das Verfahren endete durch Vergleichsabschluss.
Mit Prozesskostenhilfefestsetzungsantrag beantragte die Klägervertreterin die Festsetzung und Erstattung von Prozesskostenhilfegebühren. Sie gab an, dass eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV angefallen sei, aber nur i.H.v. 0,65 gegenüber dem Mandanten geltend gemacht werde.
Der Kostenbeamte setzte daraufhin die der Klägervertreterin aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung fest. Dabei rechnete der Kostenbeamte auf die von der Klägervertreterin geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV die von der Klägervertreterin angesetzte vorgerichtliche Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV i.H.v. 0,65 an. Dies ergebe sich aus der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV.
Bezüglich der Anrechnung der Geschäftsgebühr legte die Klägervertreterin Erinnerung ein. Sie beruft sich darauf, dass eine Anrechnung der vorgerichtlich angefallen Geschäftsgebühr nicht zu erfolgen habe, da diese weder geltend gemacht noch zugesprochen worden sei. Gegenüber dem Kläger werde lediglich eine 0,65 Geschäftsgebühr geltend gemacht, so dass die Verfahrensgebühr in voller Höhe aus der Staatskasse zu vergüten sei. Die Regelung des § 15a RVG betreffe ausdrücklich auch Abrechnungen gegenüber der Staatskasse.
Der Kostenbeamte half der Erinnerung nicht ab und legte das Verfahren dem Kammervorsitzenden des ArbG zur weiteren Entscheidung vor.
Der Kammervorsitzende wies die Erinnerung zurück und ließ hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV auf die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.
Gegen diesen Beschluss legte die Vertreterin der Klägerin Beschwerde ein. Das ArbG half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem LAG zur Entscheidung vor.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Der beigeordneten Prozessbevollmächtigten des Klägers steht eine festzusetzende Vergütung i.H.v. insgesamt 909,51 EUR zu.
Der Anspruch der Klägervertreterin auf Vergütung in Höhe einer 1,3-fachen Verfahrensgebühr gem. §§ 45 Abs. 1, 49 RVG, Nr. 3100 VV ist nicht durch Anrechnung der für die vorgerichtliche Vertretung entstandenen Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV i.H.v. 124,53 EUR incl. Mehrwertsteuer erloschen.
1. Die allgemeinen Vorschriften zur Anrechnung gelten auch für die Vergütung des Rechtsanwaltes, der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet ist (Brandenburgisches OLG v. 25.7.2011 – 6 W 55/10 [= AGS 2011, 549]; OLG Zweibrücken v. 11.5.2010, 2 WF 33/10 [= AGS 2010, 329]; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Rn 35 zu § 58 RVG m.w.Nachw.). Damit gilt grundsätzlich auch Vorbem. 3 Abs. 4 VV im Verhältnis zwischen der Staatskasse und den im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt ebenso wie der diese Anrechnungsbestimmung flankierende am 5.8.2009 in Kraft getretene § 15a RVG (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt a.a.O., § 15a Rn 7).
2. Die vorgenommene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV scheitert daran, dass die Verfahrensgebühr nicht von vornherein gekürzt entsteht, sondern nur zu einer Begrenzung des Gebührenanspruchs des Rechtsanwalts im Innenverhältnis zu seinem Mandanten führt. Dies war zwar vor Inkrafttreten des § 15a RVG umstritten, ist jedoch mit Einführung des § 15a RVG geklärt. Denn nach § 15a Abs. 1 RVG kann dann, wenn das Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Nach dieser Vorschrift bedeutet Anrechnung i.S.d. RVG gerade nicht das Erlöschen der einen oder anderen Gebühr in bestimmter Höhe, sondern lediglich eine Begrenzung nach oben innerhalb derer dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zusteht.
Dies gilt auch gegenüber der Staatskasse, da § 15a Abs. 1 RVG auch für den Prozesskostenhilfeanwalt gegenüber der Staatskasse gilt (LAG Hamm v. 16.3.2010 – 6 Ta 866/09; Müller-Rabe a.a.O. § 15a RVG Rn 7; vgl. auch OLG Frankfurt v. 12.12.2011 – 18 W 214/11, das allerdings an der Kürzung der Verfahrensgebühr b...