VwGO §§ 151, 162 Abs. 2 S. 3; RVG VV Nr. 7002
Leitsatz
Die Behörde kann auch dann den Höchstsatz der Pauschale für Post- und Telekommunikationsleistungen nach Nr. 7002 VV in Höhe von 20,00 EUR geltend machen, wenn tatsächlich geringere Aufwendungen entstanden sind.
VG Berlin, Beschl. v. 14.3.2012 – VG 35 KE 3.12
1 Aus den Gründen
Die nach § 165 i.V.m. § 151 VwGO zulässige Erinnerung (Antrag auf gerichtliche Entscheidung) ist begründet.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat in dem angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss die Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen zu Unrecht nur in Höhe von 40,55 EUR festgesetzt.
Nach § 162 Abs. 1 VwGO umfassen die Kosten des Verfahrens neben den Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können anstelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nr. 7002 VV bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern (§ 162 Abs. 2 S. 3 VwGO). Dieser beträgt derzeit 20,00 EUR.
Nach Ansicht der Kammer ist § 162 Abs. 2 S. 3 VwGO dahingehend zu verstehen, dass der Behörde ein Wahlrecht zusteht, ob sie anstelle der tatsächlichen notwendigen Auslagen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den Höchstsatz der Pauschale nach Nr. 7002 VV geltend macht.
Nach wohl überwiegender Auffassung der Verwaltungsgerichte setzt die Geltendmachung der Pauschale lediglich voraus, dass überhaupt Aufwendungen für Post- und Telekommunikation angefallen sind; auf die Höhe der tatsächlichen (gegebenenfalls geringeren) Auslagen kommt es hingegen nicht an, solange nur die Pauschale verlangt wird (so auch VG Gera, Beschl. v. 19.8.2010 – 2 Nc 1752/09 Ge; Beschl. v. 28.10.2003 – 1 E 501/03.GE; VG München, Beschl. v. 21.12.2010 – M 11 M 10.3646; Schleswig-Holsteinisches VG, Beschl. v. 29.1.2007 – 4 A 469/06; VG Augsburg, Beschl. v. 9.12.2003 – Au 3 KL 03.1206; a.A. VG Magdeburg, Beschl. v. 8.10.2007 – 9 B 207/07; VG Berlin, Beschl. v. 16.12.2010 – VG 9 KE 90.10).
Das VG Gera hat zur Begründung ausgeführt (a.a.O., Beschl. v. 19.8.2010):
"Der Antragsgegnerin kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Behörde aufgrund ihrer Bindung an Recht und Gesetz nach Art. 20 Abs. 3 GG eine Ermessensentscheidung darüber treffen muss, ob sie in den Verfahren, in denen nur sehr geringe Kosten anfallen, überhaupt Kosten geltend macht (so aber vgl.: VG Magdeburg, Beschl. v. 8.10.2007 – 9 B 207/07). Zu Recht weist die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien darauf hin, dass die Möglichkeit, eine Pauschale zu fordern, insbesondere der Verwaltungsvereinfachung und der Angleichung an das RVG dienen sollte. Während der ursprüngliche Gesetzentwurf der damaligen Bundesregierung keine Regelung enthielt, die dem heutigen § 162 Abs. 3 S. 2 VwGO entspricht (vgl.: BT-Drucks 14/6393), forderte der Bundesrat eine entsprechende Regelung mit der Begründung, dass die geltende Regelung umfangreiche Aufzeichnungen und Berechnungen erfordere. Die Verweisung auf die für Rechtsanwälte geltende Typisierung sei daher sachgerecht (vgl. BT-Drucks 14/6854 zu Art. 1 Nr. 1)."
Dieser Ansatz wurde ersichtlich im Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP aufgenommen. Dieser Gesetzentwurf zu einem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BT-Drucks 15/1971) enthielt in Art. 4 Abs. 26 Nr. 2 die Regelung, die sich heute in § 162 Abs. 3 S. 2 VwGO findet. Schon dieser Ablauf spricht dafür, dass mit der Kostenrechtsmodernisierung nicht nur die "Vergleichsberechnung" entbehrlich werden sollte. Ferner ist zu bedenken, dass die bis zum 30.6.2004 geltende Fassung des § 162 Abs. 2 S. 3 VwGO auf den in § 26 Abs. 2 BRAGO bestimmten "Pauschsatz" in seiner Gesamtheit verwies (15 % der Gebühren, höchstens 20,00 EUR). Nunmehr erfasst der Verweis in § 162 Abs. 2 S. 3 VwGO nur noch den "Höchstsatz der Pauschale" nach Nr. 7002 VV (vgl. Schleswig-Holsteinisches VG, Beschl. v. 29.1.2007 – 4 A 469/06). Auch dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber die Behörde vollständig von der Pflicht zur Einzelerfassung der Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen befreien wollte. Auch bedingt der Begriff der Pauschalentschädigung, dass keine Nachweise zu führen sind, in welcher Höhe Aufwendungen der genannten Art im Einzelfall angefallen sind. Dementsprechend kann weder im Kostenfestsetzungs- noch im Erinnerungsverfahren nachgeprüft werden, welche Telefonate geführt oder welche Schreiben zu welchen Kosten versandt wurden (vgl. VG Augsburg, Beschl. v. 9.12.2003 – AU 3 K 03.1206). Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass eine andere Betrachtungsweise den vom Gesetzgeber angestrebten Vereinfachungsgrundsatz konterkarieren würde. Das Ermessen der Behörde erstreckt sich somit, wie die Antragsgegnerin ebenfalls zu Recht vorgetragen hat, ausschließlich darauf, ob sie die...