"My Fair RVG"
In dem wunderbaren Musical "My Fair Lady" hat es Prof. Higgins – relativ – leicht, muss er doch nur einer Eliza die Feinheiten ihrer Muttersprache nahebringen.
Der BGH – und wie man hier sieht – auch Oberlandesgerichte – sehen sich in der Rolle eines Sprachlehrers seit mehr als einem Jahrzehnt einer offenbar nicht endenden Anzahl von Elizas gegenüber, die das Wort vom RVG als unverstandenem Gesetz immer wieder bekräftigen.
Dass das RVG gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt, mag man ja noch einräumen, und die geradezu inflationäre Erweiterung der Kommentarliteratur auf deutlich mehr als ein Dutzend Werke spricht sicherlich eine deutliche Sprache.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt auch, dass die Vorschriften der guten alten BRAGO längst nicht so viele Gerichte beschäftigt haben, wie es heute beim RVG der Fall ist.
Dass allerdings Rechtspfleger Fragen falsch beantworten, die schon seit Jahr und Tag vom BGH mit erfrischender Deutlichkeit beantwortet sind, erschreckt und verwundert schon ein wenig. Während man es bei Bezirksrevisoren teilweise beobachten muss, dass aus ersichtlich veralteten Vorauflagen zum RVG Meinungsäußerungen und Entscheidungen bemüht werden, um die Strafverteidigergebühren zu drücken, zeichnet sich im Zivilrecht und im dortigen Kostenfestsetzungsverfahren die Beurteilung von Rechtspflegern meistens durch hohe Kompetenz und Gesetzes- sowie Rechtsprechungssicherheit aus. Insoweit kommt es in Kostenfestsetzungsverfahren eher selten zu gravierenden Fehlern, was die Anwaltschaft dazu verleitet, in der Regel die Kostenfestsetzungs- oder Kostenausgleichsanträge unkommentiert und ohne Hinweis auf Rspr. und Lit. bei Gericht einzureichen.
Der hier vom OLG Jena einem guten Ende zugeführte Fall belegt aber, dass es wohl auch heute noch – selbst bei kleinsten Zweifeln – empfehlenswert erscheint, Kostenfragen nicht nur im Hauptprozess, sondern auch im späteren Festsetzungsverfahren besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Da der BGH nicht überall als Prof. Higgins begriffen wird, und/oder nicht bei jeder Eliza die Lektionen bleibende Wirkung haben, hilft ein "Erinnerungslink" an die eine oder andere klärende Rspr. sicherlich weiter und erspart hoffentlich in Zukunft Beschwerdeverfahren, die die Justiz Zeit und Kraft kosten.
Ob ein Hinweis auf die umfangreiche Rspr., die auch das OLG Jena (s.o.) bemüht hat, bei der hier betroffenen Eliza weitergeholfen hätte, muss allerdings offen bleiben. Immerhin hatte der Klägervertreter ausweislich der Entscheidung des OLG in zwei Schriftsätzen deutlichst die eine volle Terminsgebühr rechtfertigende Erörterung der Sach- und Rechtslage nicht nur hervorgehoben, sondern im Einzelnen auch dargestellt. Gleichwohl blieb es dem OLG dann überlassen, die Dinge wieder geradezurücken und dem Klägervertreter das verdiente Honorar zuzusprechen.
Mit dem RVG ist es also offenbar wie mit dem eingangs erwähnten Musical: Es ist und bleibt ein Evergreen!
Herbert P. Schons
AGS 7/2015, S. 323 - 325