Leitsatz
- Bei der Festsetzung des Werts für die Ehesache ist von dem Verkehrswert des Grundstücks ein Abschlag im Hinblick auf einen Freibetrag nicht vorzunehmen, sondern es fließt der gesamte Verkehrswert mit einem Anteil von fünf Prozent in die Wertbemessung ein.
- Eine Erhöhung des Einkommens wegen des mietfreien Wohnens kommt jedenfalls kumulativ zur Berücksichtigung des Verkehrswertes nicht in Betracht.
- Allein der Umstand, dass eine einverständliche Scheidung vorliegt, rechtfertigt eine Herabsetzung des Verfahrenswerts nicht.
- Ost- und Westanrechte sind hinsichtlich des Verfahrenswertes gem. § 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG gesondert zu bewerten.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 11.2.2016 – 10 WF 71/15
1 Sachverhalt
Das FamG hatte die kinderlose Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden. Der Antragsteller hatte sein Nettoeinkommen mit 1.540,00 EUR und die Antragsgegnerin ihr Nettoeinkommen mit 1.047,00 EUR angegeben. Das FamG hat daraufhin den Verfahrenswert für das Scheidungsverfahren auf 7.761,00 EUR (= [1.540,00 EUR + 1.047,00 EUR] x 3 Monate) und den Verfahrenswert für die Folgesache über den Versorgungsausgleich auf 1.552,20 EUR (= 7.761,00 EUR x 20 %) festgesetzt. Gegen die Wertfestsetzung wendet sich der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit der Beschwerde. Er macht geltend, das FamG habe zu Unrecht bei der Bemessung des Verfahrenswertes für das Scheidungsverfahren allein auf die Einkünfte der Ehegatten abgestellt und das vorhandene Vermögen, nämlich eine Immobilie mit einem Nettowert von 85.000,00 EUR, außer Betracht gelassen. 5 % hiervon, nämlich 4.250,00 EUR, sei ohne Abzug von Freibeträgen als Erhöhungsbetrag anzunehmen. Auch das mietfreie Wohnen des Ehemanns im eigenen Haus sei mit 500,00 EUR monatlich, insgesamt also mit weiteren 1.500,00 EUR zu berücksichtigen, sodass sich der Wert für die Ehesache um 5.750,00 EUR auf 13.511,00 EUR erhöhe. Zudem hätte das FamG bei der Bemessung des Wertes für die Folgesache über den Versorgungsausgleich das dreifache Monatseinkommen der Eheleute nicht mit 20 %, sondern mit 30 % multiplizieren müssen. Insoweit ergebe sich daher ein Wert von 2.328,30 EUR.
Das AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Das OLG hat ihr stattgegeben.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers führt zu einer Anhebung der Verfahrenswerte sowohl für das Ehescheidungsverfahren als auch für die Folgesache über den Versorgungsausgleich.
a) Der Wert für das Scheidungsverfahren ist anderweitig auf 12.011,00 EUR festzusetzen.
Gem. § 43 Abs. 1 S. 1 FamGKG ist in Ehesachen der Verfahrenswert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht unter 3.000,00 EUR und nicht über 1 Mio. EUR angenommen werden, § 43 Abs. 1 S. 2 FamGKG. Für die Einkommensverhältnisse ist das in drei Monaten erzielte Nettoeinkommen der Ehegatten einzusetzen, § 43 Abs. 2 FamGKG. Das AG hat bei der Festsetzung des Wertes für die Ehesache offensichtlich allein auf die letztgenannte Bestimmung abgestellt. Das war – auf den Einzelfall bezogen – unzutreffend.
aa) Das Vermögen der beteiligten Ehegatten ist mit 4.250,00 EUR bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen.
(1) Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts ist es verfassungsrechtlich geboten, neben dem nach § 43 Abs. 2 FamGKG heranzuziehenden Nettoeinkommen der Eheleute auch ein etwa bei ihnen vorhandenes (Immobiliar) Vermögen zu berücksichtigen (BVerfG FPR 2010, 358, 359). Eine Differenzierung nach verfügbarem und nicht "flüssigem" Vermögen findet hier – anders als bei der Bewertung des Vermögens im Rahmen der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe – nicht statt und ist auch nicht nötig, weil es nicht um den unmittelbaren Einsatz dieses Vermögens geht (BVerfG NJW 2005, 2980, 2981).
Die Vorschrift über die Bemessung des Verfahrenswertes in Ehesachen führt im Ergebnis dazu, dass Beteiligte in Scheidungsverfahren je nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unterschiedlich hohe Gerichtskosten zu zahlen haben. Diese ungleiche Behandlung, die aus der Anknüpfung des Streitwerts u.a. an die Einkommens- und Vermögensverhältnisse folgt, ist aber gerechtfertigt. Sie beruht erkennbar auf dem Bestreben, im konkreten Fall die Festsetzung angemessener Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten zu ermöglichen. Der Gesetzgeber hat von einem starren Regelwert abgesehen, um sicherzustellen, dass von den Gerichten alle Umstände des Einzelfalles erfasst werden können. Er hielt dies auch deshalb für notwendig, um das Interesse des Fiskus an einer angemessenen Gebühr zu gewährleisten. Derartige Gründe für die Ausgestaltung der Gebührenerhebung finden ihren Rückhalt im verfassungsrechtlich abgesicherten Sozialstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG, und im Justizgewährungsanspruch, der durch Art. 19 Abs. 4 GG und durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip gewährleistet ist (BVerfG NJW 1989, 1985; s.a. OLG Brandenburg, 3. FamS, Beschl. v. 23.6.2014...