RVG §§ 15a Abs. 2, 59; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4
Leitsatz
Der Anrechnungsbetrag der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr ist auf den quotalen Anteil beschränkt, wenn der Verfahrensgegner die Vorverfahrenskosten nur anteilig erstattet.
SG Berlin, Beschl. v. 30.3.2017 – S 164 SF 796/16 E
1 Sachverhalt
Das SG hatte beiden Klägern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Rechtsanwältin bewilligt.
Im Juli 2015 beantragte die Bevollmächtigte der Kläger die Festsetzung eines Vorschusses aus der Landeskasse i.H.v. 487,90 EUR, der i.H.v.255,85 EUR zur Auszahlung kam.
Im September 2015 unterbreitete der Vorsitzende einen Vergleichsvorschlag, der sodann von den Beteiligten des Klageverfahrens schriftsätzlich angenommen wurde. Danach trägt der Erinnerungsführer 3/4 der außergerichtlichen Kosten.
Später beantragte die Bevollmächtigte der Kläger für das Vorverfahren die Festsetzung von 325,26 EUR gegen den Erinnerungsführer nach folgender Berechnung:
2/3 Geschäftsgebühr, Nrn. 2302, 1008 VV |
260,00 EUR |
2/3 Kommunikationspauschale, Nr. 7002 VV |
13,33 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
51,93 EUR |
Der Erinnerungsführer zahlte den geltend gemachten Betrag i.H.v. 325,26 EUR.
Mit weiterem Schriftsatz beantragte die Bevollmächtigte der Kläger zugleich die Festsetzung von 755,65 EUR aus der Landeskasse, berechnet wie folgt:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
150,00 EUR |
Mehrvertretungszuschlag, Nr. 1008 VV |
45,00 EUR |
Anrechnung Geschäftsgebühr |
– 130,00 EUR |
Terminsgebühr, Nr. 3106 VV |
270,00 EUR |
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV |
300,00 EUR |
Kommunikationspauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
120,65 EUR |
wobei der Vorschuss aus der Landeskasse auf die Verfahrensgebühr bereits Berücksichtigung gefunden habe.
Mit Beschl. v. 12.5.2016 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle antragsgemäß die aus der Landekasse zu erstattende Vergütung auf 755,65 EUR fest. Mit Kostenberechnung vom 1.6.2016 forderte er sodann den Erinnerungsführer zur Zahlung von 758,63 EUR auf. In dieser Höhe (3/4 der festgesetzten PKH-Vergütung) sei der Anspruch der Rechtsanwältin wegen ihrer Vergütung gegen den erstattungspflichtigen Gegner auf die Landeskasse übergegangen.
Hiergegen hat der erstattungspflichtige Gegner Erinnerung eingelegt und macht geltend, eine Terminsgebühr sei nicht anzuerkennen. Zudem seien 175,00 EUR auf die Verfahrensgebühr anzurechnen, da zwei Widerspruchsführer vertreten worden seien. Es stelle sich auch die Frage, ob der Vorschuss bei der Kostenrechnung hätte in Abzug gebracht werden müssen.
2 Aus den Gründen
Die Erinnerung ist zulässig und vollumfänglich begründet.
Die Kostenberechnung war wie tenoriert abzuändern. Der Landeskassenübergang ist auf der Grundlage folgender Berechnung zu bewirken:
Verfahrensgebühr, Nrn. 3102, 1008 VV |
390,00 EUR |
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV |
300,00 EUR |
Kommunikationspauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Betrag: |
710,00 EUR |
Davon 3/4: |
532,50 EUR |
Anrechnung Vorverfahrenskosten: |
– 130,00 EUR |
|
402,50 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
– 76,48 EUR |
Gesamt |
478,98 EUR |
Zwischen den hiesigen Beteiligten besteht zutreffend kein Streit über den Nichtanfall einer Terminsgebühr. Ein Termin hat nicht stattgefunden. Auch ist keine fiktive Terminsgebühr entstanden, insbesondere haben die Beteiligten des Klageverfahrens keinen schriftlichen Vergleich geschlossen. Die Gebühr nach Nr. 3106 Nr. 1 VV entsteht nur, wenn ein schriftlicher Vergleich geschlossen wurde. Dies erfordert nach der einheitlichen Rspr. der Berliner Kostenkammern, dass ein förmlicher Beschluss ergangen ist, sei es nach § 101 Abs. 1 S. 2 SGG oder auch § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO.
Zutreffend ist ferner die Höhe der Verfahrensgebühr in Höhe einer Mittelgebühr der Nr. 3102 VV zuzüglich der Rahmenerhöhung um 30 % nach Nr. 1008 VV wegen der Vertretung von zwei Klägern unstreitig. Diese Gebühr erweist sich nicht als unbillig i.S.v. § 14 Abs. 1 RVG. Die Einigungsgebühr folgt der Verfahrensgebühr (ohne Rahmenerhöhung) der Höhe nach aufgrund der gesetzlichen Regelung in Nr. 1006 VV.
Problematisch ist allerdings die Errechnung des Anrechnungsbetrags. Nach der Vorbem. 3 Abs. 4 VV ist die Geschäftsgebühr, soweit diese wegen desselben Gegenstandes entsteht, zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Bei Betragsrahmengebühren ist die Anrechnung begrenzt auf den Höchstbetrag von 175,00 EUR. Aus § 15a Abs. 1 RVG folgt, dass dem Rechtsanwalt grundsätzlich sowohl die Verfahrens- als auch die Geschäftsgebühr in voller Höhe zusteht, er jedoch insgesamt nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag reduzierten Betrag fordern kann. Ihm steht insoweit – jedenfalls im Verhältnis zum Mandanten – ein Wahlrecht zu, auf welche der Gebühren die Anrechnung erfolgt (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks 16/12717, 68)
Die Anrechnung betrifft grundsätzlich das Rechtsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant, ein Dritter kann sich nur in den Fällen des § 15a Abs. 2 RVG auf die Anrechnung berufen. Der Gesetzgeber sieht dies ausdrücklich nur in drei Fallkonstellationen vor: Soweit der ...