Leitsatz
Dem Verteidiger steht für die Teilnahme an einem nach § 202a StPO durchgeführten Erörterungstermin keine gesonderte Gebühr analog Nr. 4102 VV zu.
KG, Beschl. v. 18.11.2011 – 1 Ws 86/11
1 Sachverhalt
Der Beschwerdegegner war dem Angeklagten in einem Strafverfahren, das vor dem LG geführt wird, als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Vor der Eröffnung des Hauptverfahrens hat die Strafkammer den Stand des Verfahrens mit der Staatsanwaltschaft, den Verteidigern und dem Beschwerdegegner nach § 202a StPO erörtert. Der Beschwerdegegner hat für diesen Erörterungstermin eine Gebühr nach den Nrn. 4102, 4103 VV (137,00 EUR) und die Umsatzsteuer berechnet. Die Urkundsbeamtin des LG hat die Festsetzung abgelehnt. Auf die Erinnerung des Pflichtverteidigers hat die Strafkammer, auf die der Einzelrichter das Verfahren übertragen hatte, die Gebühr antragsgemäß festgesetzt und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage die ("weitere") Beschwerde zugelassen. Hiergegen wendet sich die Bezirksrevisorin mit der Beschwerde, die Erfolg hatte.
2 Aus den Gründen
Die Strafkammer hat zu Unrecht eine Terminsgebühr entsprechend den Nrn. 4102, 4103 VV festgesetzt. Für die Teilnahme an dem nach § 202a StPO durchgeführten Erörterungstermin steht dem Pflichtverteidiger eine gesonderte Gebühr nicht zu.
1. Auf eine unmittelbare Anwendung der Nrn. 4102, 4103 VV kann die Festsetzung einer Terminsgebühr für die Teilnahme an dem Erörterungstermin nicht gestützt werden. In Betracht kämen allenfalls die Nrn. 1 (richterliche Vernehmungen und Augenscheinseinnahmen) u. 3 (Termine außerhalb der Hauptverhandlung, in denen über Untersuchungshaft oder Unterbringung verhandelt wird). Aber auch deren Voraussetzungen liegen ersichtlich nicht vor.
2. Eine ergänzende Auslegung oder eine entsprechende Anwendung der Gebührentatbestände Nr. 4102 Nrn. 1 u. 3 VV scheiden ebenso aus.
a) Hierzu ermangelt es bereits einer planwidrigen Regelungslücke.
aa) Zwar trat § 202a StPO erst mit dem Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 in Kraft und damit nach der Neuregelung des RVG vom 5.5.2004. Damit wurde das außerhalb der Hauptverhandlung geführte Verständigungsgespräch aber nur kodifiziert; es war in der Praxis bereits üblich und Gegenstand einer Vielzahl von Entscheidungen (vgl. nur BGH NJW 1997, 2691; 1998, 86; 2004, 3426; 2004, 2536).
Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der umfassenden Novellierung des RVG, bei der die außerhalb der Hauptverhandlung geleisteten Verteidigungsbemühungen bedacht und ausdrücklich aufgewertet wurden, versehentlich unterlassen hat, die Erörterungen und Absprachen einem gesonderten Vergütungstatbestand zuzuführen (so auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.8.2011 – 1 Ws 89/11 – bei Burhoff online). Dies gilt umso mehr als die den Gebührentatbeständen der Nr. 4102 VV unterfallenden Tätigkeiten unter der Geltung der BRAGO nicht gesondert vergütet waren (vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 222), der Gesetzgeber sich also mit der Vergütung der außerhalb der Hauptverhandlung erbrachten Verteidigungsleistungen ausdrücklich befasst und sie – dezidiert – geregelt hat.
Unwahrscheinlich ist auch, dass der Gesetzgeber – wie das AG Freiburg (RVGreport 2011, 92) mutmaßt – bei der Einführung des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vergütungsrechtliche Folgen unbeabsichtigt unberücksichtigt gelassen hat. Der Gesetzgeber bedenkt bei Gesetzesänderungen regelmäßig die Auswirkungen auf das Vergütungsrecht und veranlasst Anpassungen des Vergütungsverzeichnisses. So enthält z.B. das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung v. 23.7.2004 (BGBl I 2004, Nr. 39, S. 1840) eine Änderung des RVG; durch Art. 7 des Gesetzes wurde die Vorbem. 4.1 Abs. 1 VV so geändert, dass auch im Verfahren über die im Urteil vorbehaltene Sicherungsverwahrung und im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung Gebühren des Verteidigers nach dem RVG anfallen. Noch anschaulicher wird die Umsicht, die der Gesetzgeber in Bezug auf die Folgen seiner Gesetzgebung für das anwaltliche Vergütungsrecht aufbringt, am Beispiel des Opferrechtsreformgesetzes v. m 24.6.2004 (BGBl I 2004, Nr. 31, S. 1357), mit dessen Art. 4 sogar für die Beschwerde gegen einen zurückweisenden Adhäsionsantrag (§ 406 Abs. 5 S. 2 StPO) ein eigener Gebührentatbestand (Nr. 4145 VV) geschaffen wurde.
bb) Nicht überzeugen kann die Argumentation des Beschwerdegegners, der von der Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Erörterungstermin beigemessen hat, auf das Erfordernis eines gesonderten Vergütungstatbestands schließt (so auch AG Freiburg a.a.O.). Zutreffend ist, dass die Erörterung nach § 202a StPO häufig der Vorbereitung einer Verständigung nach § 257c StPO dient und damit auch rechtspolitisch bedeutungsvoll ist. Dass der Gesetzgeber aber trotz der Wichtigkeit, die er der Regelung der Verständigung im Strafverfahren offenkundig zugeschrieben hat (vgl. BT-Drucks 16/12310), auf die Einführung eines Vergütungstatbestands verzichtet hat, legt gerade nahe, dass er ...