RVG § 14 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
- Zum pflichtgemäßen Ermessen des Rechtspflegers bei der Entscheidung, ob im Falle des Teilfreispruchs im Kostenfestsetzungsverfahren der Erstattungsanspruch des Angeklagten nach der Differenztheorie oder nach sachgerechter Schätzung durch eine Quotelung bestimmt werden soll.
- Im Fall der Verbindung von Verfahren bleiben dem Verteidiger in den verbundenen Verfahren bereits vor der Verbindung entstandene Gebühren erhalten.
- Die Bestimmung der Gebühren durch den Rechtsanwalt auf der Grundlage der Kriterien des § 14 RVG ist unverbindlich, wenn sie unbillig ist. Das ist dann der Fall, wenn die beantragte Gebühr um 20 % oder mehr über der angemessenen Höhe liegt.
- Bei den Terminsgebühren stellt die Sitzungsdauer ein wesentliches Bemessungskriterium dar. Bei der Bemessung stellen zudem die im Vergütungsverzeichnis für den Pflichtverteidiger normierten Längenzuschläge und Zeitstufen eine Orientierungshilfe dar. Sitzungspausen sind bei der Bestimmung der Terminsgebühr nicht einzurechnen, wenn sie für die Dauer von mindestens einer Stunde angeordnet wurden.
KG, Beschl. v. 24.11.2011 – 1 Ws 113/10
1 Aus den Gründen
Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Beschuldigten Anklage wegen Vergewaltigung zum LG und wenig später wegen Urkundenfälschung zum AG erhoben. Nachdem das LG im Jahr 2007 die Hauptverhandlung nach fünf Verhandlungstagen und das AG im Folgejahr zwei Hauptverhandlungen ausgesetzt hatten, hat das LG das Verfahren wegen des Vergehensvorwurfs übernommen und zu seinem Verfahren hinzuverbunden. Im Jahr 2009 ist der Angeklagte nach zehn Verhandlungstagen durch das LG wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100,00 EUR verurteilt und von dem Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden. Nach dem rechtskräftigen Urteil fallen die notwendigen Auslagen des Angeklagten, soweit er freigesprochen worden ist, der Landeskasse zur Last.
Der Angeklagte hat Gebühren und Auslagen für seine Verteidigung i.H.v. insgesamt 7.207,29 EUR geltend gemacht. Der Rechtspfleger hat bei 14 Gebührenansätzen Abschläge vorgenommen und einen Betrag von 4.334,00 EUR anerkannt. Davon hat er eine Quote von 10 % als auf die Verurteilung entfallend abgezogen. Zu den verbleibenden 3.900,60 EUR hat er antragsgemäß die Auslagen (Nrn. 7000 und 7002 VV) sowie die Umsatzsteuer hinzugerechnet und einen Erstattungsbetrag von 4.709,01 EUR festgesetzt. Über die den achten Verhandlungstag betreffende Terminsgebühr ist dabei mangels Fälligkeit des Erstattungsanspruchs noch nicht entschieden worden.
Gegen die Festsetzung wenden sich der Angeklagte und die Bezirksrevisorin mit der sofortigen Beschwerde. Der Angeklagte erstrebt die Erstattung seiner notwendigen Auslagen im zuletzt beantragten Umfang. Die Bezirksrevisorin beantragt auf der Grundlage einer auf den Freispruch entfallenden Quote von 81 %, dem Angeklagten 4.232,05 EUR aus der Landeskasse zu erstatten.
Die Rechtsmittel sind zulässig. Dies gilt auch für die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin, obwohl sie der Auffassung ist, dass dem Angeklagten insgesamt ein die bisherige Festsetzung übersteigender Betrag, nämlich 5.102,45 EUR, zusteht. Gegenstand des Kostenfestsetzungsverfahrens und damit der sofortigen Beschwerde sind aber nur die durch den Angeklagten geltend gemachten Auslagen für das Verfahren vor dem LG. Da sie hierfür die Festsetzung eines geringeren Betrags (4.232,05 EUR) erstrebt, ist sie durch die angefochtene Entscheidung beschwert.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist in geringem Umfang begründet. Die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin ist unbegründet. Dem Angeklagten steht insgesamt ein Erstattungsanspruch i.H.v. 4.967,71 EUR zu.
1. Zwar entscheidet der Rechtspfleger im Falle des Teilfreispruchs grundsätzlich selbst, ob er im Kostenfestsetzungsverfahren den Erstattungsanspruch nach der Differenztheorie (vgl. hierzu ausführlich OLG Koblenz, Beschl. v. 10.9.2007 – 1 Ws 191/07; OLG Karlsruhe StV 1998, 609) oder nach sachgerechter Schätzung durch eine Quotelung bestimmt. Die Wahl der Methode steht dabei in seinem pflichtgemäßen Ermessen (vgl. Senat StraFo 2009, 261, OLG Hamm, Beschl. v. 22.1.2009 – 5 Ws 300/08; OLG Koblenz StraFo 1999, 105).
Die Entscheidung des Rechtspflegers, den Erstattungsbetrag nicht nach der Differenzmethode, sondern durch eine Quotelung nach § 464d StPO zu ermitteln, entspricht nicht pflichtgemäßem Ermessen. Denn bereits die Überlegungen des Rechtspflegers zur Anwendbarkeit der Differenztheorie sind nicht nachvollziehbar. Auch kann der Senat der Differenzierung nach "echtem Teilfreispruch" und "vollständigem Freispruch" (nach Verbindung) nicht folgen. Gleiches gilt für die Überlegungen, die zur Bestimmung der Quote führen. Warum die durch den Verteidiger in dem amtsgerichtlichen Verfahren erbrachten Bemühungen hier lediglich im Umfang "einer gewissen Tätigkeit" Eingang finden sollen, erschließt sich nicht.
Der Senat bestimmt daher im Rahmen seiner Sachentscheidungskompetenz (§ 309 Abs. 2 StPO) auch die Berechnungsmethode.
Der Senat erach...