RVG VV Nr. 2100, 3200; RVG § 19 Abs. 1

Leitsatz

Wird der Anwalt beauftragt, Berufung einzulegen und diese im Umfang der von ihm zu prüfenden Erfolgsaussichten durchzuführen, und wird die Berufung dann auch nur in beschränktem Umfang eingelegt, weil der Anwalt zum Teil von der Durchführung der Berufung abgeraten hat, so erhält der Anwalt aus dem Gesamtwert der Beschwer eine Prüfungsgebühr nach Nr. 2100 VV und nur aus dem Wert der durchgeführten Berufung die Verfahrensgebühr der Nr. 3100 VV, wobei darauf die Prüfungsgebühr nach dem Wert der durchgeführten Berufung anzurechnen ist.

LG Köln, Urt. v. 4.4.2012 – 13 S 235/11

1 Sachverhalt

Der Auftraggeber der beklagten Rechtsanwälte hatte vor dem LG Schadensersatz i.H.v. 89.527,00 EUR eingeklagt. Für dieses Verfahren hatte er von der Klägerin, seinem Rechtsschutzversicherer, Deckungsschutz erhalten.

Das LG hatte einen Betrag in Höhe von 15.000,00 EUR zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.

Der Auftraggeber begehrte daraufhin Deckungsschutz für ein Berufungsverfahren, den die Klägerin ihm auch gewährte.

Daraufhin beauftragte der Auftraggeber die Beklagten, Berufung einzulegen, was diese auch taten.

Die Beklagten rechneten daraufhin vorschussweise eine 1,6-Verfahrensgebühr aus dem vollen Wert der Beschwer i.H.v. (89.527,00 EUR – 15.000,00 EUR =) 74.527,00 EUR ab, die die Klägerin auch beglich.

Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rieten die Beklagten ihrem Auftraggeber, die Berufung nur wegen eines Betrages i.H.v. 10.000,00 EUR durchzuführen.

Der Auftraggeber stimmte dem zu, sodass die Berufung nur in Höhe von 10.000,00 EUR begründet wurde. Die Berufung blieb jedoch letztlich ohne Erfolg.

Die Klägerin verlangte nunmehr von den Beklagten Rückzahlung, soweit der Vorschuss eine 1,6-Verfahrensgebühr aus 10.000,00 EUR nebst Auslagen und Umsatzsteuer übersteigt. Da die Berufung nur in Höhe von 10.000,00 EUR durchgeführt worden sei, könne auch nur nach diesem Gegenstandswert abgerechnet werden.

Die Beklagten vertraten die Auffassung, ihnen sei zunächst ein uneingeschränkter Berufungsauftrag erteilt worden, sodass mit Einlegung der Berufung die Verfahrensgebühr der Nr. 3200 VV aus dem vollen Wert der Beschwer angefallen sei.

Hilfsweise machten sie geltend, dass Ihnen zumindest aus dem vollen Wert eine Prüfungsgebühr nach Nr. 2100 VV zustehe, die sie hier mit dem Höchstsatz von 1,0 bestimmten.

Das AG hat nur eine 1,6-Verfahrensgebühr aus dem Wert von 10.000,00 EUR zugesprochen. Es hat den Klägern daneben aber unter Berücksichtigung der Gebührenanrechnung nach Anm. zu Nr. 2100 VV eine 1,0-Prüfungsgebühr aus dem Gesamtwert der Beschwer zugebilligt, sodass sich folgende Berechnung ergab.

 
Praxis-Beispiel

I. Prüfungstätigkeit

 
1. 1,0-Prüfungsgebühr, Nr. 2100 VV (Wert: 74.527,00 EUR) 1.200,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV  20,00 EUR
  Zwischensumme 1.220,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 231,80 EUR
Gesamt 1.451,80 EUR

II. Berufung

 
1. 1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV (Wert: 10.000,00 EUR) 777,60 EUR
2. gem. Anm. zu Nr. 2100 VV anzurechnen, 1,0 aus 10.000,00 EUR -486,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV  20,00 EUR
  Zwischensumme 311,60 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 59,20 EUR
Gesamt   370,80 EUR
III. Gesamt I + II   1.822,60 EUR

Die wechselseitig eingelegten Berufungen hatten keinen Erfolg.

2 Aus den Gründen

Durch die Einlegung der Berufung hat die Beklagte eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV verdient. Der Gebührenanspruch nach Nr. 3200 VV entsteht bereits durch die Entgegennahme der Informationen, bzw. der Einreichung der Berufungsschrift, ohne dass die Berufung zugleich begründet werden müsste (Göttlich/Mümmler, RVG, 4. Aufl. 2012, Berufung 1.2.1; Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 15. Aufl., 2011 Nr. 3200 VV Rn 2; Hartung/Schons/Enders, RVG, 2011, Nr. 3200 VV Rn 7; Gerold/Schmidt, RVG 19. Aufl. 2010, Nr. 3200 VV Rn 1).

Richtigerweise wurde in der Kostennote dieser Verfahrensgebühr ein Gegenstandswert von 10.000,00 EUR zugrunde gelegt, nachdem die Berufung nur in dieser Höhe durchgeführt wurde. Der Gegenstandswert im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich gem. § 47 GKG i.V.m. § 23 Abs. 1 RVG nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (Göttlich/Mümmler, RVG, 4. Aufl. 2012, Berufung 2.0). Die Ansicht, dass dieser Gebühr die gesamte Beschwer i.H.v. 74.272,00 EUR zugrunde zu legen wäre, findet keine Stütze in der Rspr. oder Lit. und wird in der Berufungsinstanz auch von der Beklagten nicht mehr vertreten.

Weiterhin kann die Beklagte eine Gebühr nach Nr. 2100 VV geltend machen.

Die an die Stelle des § 20 Abs. 2 BRAGO getretene Rahmengebühr der Nr. 2100 VV fällt nach dem Text der Vorschrift bei Prüfung der Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels an und ist auf eine Gebühr für das Rechtsmittelverfahren anzurechnen. Die Gebühr der Nr. 2100 VV entsteht nach Abschluss der ersten Instanz bereits ohne gesonderte Beauftragung, wenn der in erster Instanz tätige Anwalt eine Prüfung der Erfolgsaussicht vornimmt (Hartung/Schons/Enders Nr. 2100 VV Rn 6; Meyer/Kroiß, RVG, 5. Aufl., 2012, Nr. 2100 V...

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