ZPO § 91 Abs. 1 S. 2; VwGO § 162; JVEG §§ 19 ff.
Leitsatz
Die Verbindung einer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Anreise zu einem Verhandlungstermin mit einem Privataufenthalt am Ort der mündlichen Verhandlung schließt die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten als notwendige Aufwendungen i.S.d. § 162 VwGO dann nicht aus, wenn der Privataufenthalt lediglich "bei Gelegenheit" des Verhandlungstermins erfolgt und auf wenige Tage beschränkt ist.
BVerwG, Beschl. v. 12.3.2012 – 9 KSt 6.11
1 Aus den Gründen
Gem. § 5 Abs. 1 JVEG werden bei Anreisen von dem in der Ladung bezeichneten Ort zum Ort des Termins die bei Benutzung von öffentlichen, regelmäßig wiederkehrenden Beförderungsmitteln tatsächlich entstandenen Auslagen bis zur Höhe der entsprechenden Kosten für die Benutzung der ersten Wagenklasse der Bahn einschließlich der Auslagen für Platzreservierungen und Beförderung des Gepäcks ersetzt. Die von dem Kläger zu 1) in Höhe von 68,00 EUR für eine Fahrkarte zweiter Klasse geltend gemachten Kosten für die Anreise zum Verhandlungstermin sind danach erstattungsfähig. Der Kläger zu 1) hat am Verhandlungstermin am 10.11.2010 teilgenommen und angegeben, bereits am 7.11.2010 mit der Bahn von seinem Wohnort Bremen aus angereist zu sein. Dass er die Bahnfahrkarte nicht vorlegen konnte, steht der Erstattung nicht entgegen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass seine Angaben, er habe die Bahn benutzt, könne aber seine Fahrkarte nicht mehr finden, nicht zutreffen. Den Aufenthalt in Leipzig ab dem 7.11.2010 hat der Kläger zu 1) durch Vorlage einer Hotelrechnung glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 S. 1, § 294 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 VwGO).
Der Erstattungsfähigkeit steht auch nicht entgegen, dass der Kläger zu 1) nicht erst am Tag vor dem Verhandlungstermin, sondern bereits am 7.11.2010 angereist ist. Die Verbindung einer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Anreise zu einem Verhandlungstermin mit einem Privataufenthalt am Ort der mündlichen Verhandlung schließt die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten als notwendige Aufwendungen i.S.d. § 162 VwGO dann nicht aus, wenn der Privataufenthalt lediglich "bei Gelegenheit" des Verhandlungstermins erfolgt und auf wenige Tage beschränkt ist. In diesem Fall ist der für eine Kostenerstattung erforderliche Zusammenhang zwischen Anreise und Verhandlungstermin auch bei einer Kombination mit einem Privataufenthalt noch gegeben. So liegt es hier. Der Kläger zu 1) hätte spätestens am 9.11.2010 anreisen müssen, um zum Beginn der mündlichen Verhandlung am 10.11.2010 um 10:00 Uhr anwesend sein zu können.
Dem Kläger zu 1) steht auch eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG in Höhe des im Tenor ausgewiesenen Betrages zu. § 20 JVEG schließt diese Entschädigung in Höhe von 3,00 EUR je Stunde nur dann aus, wenn dem Betroffenen "ersichtlich kein Nachteil entstanden (ist)". Daran fehlt es hier. Dass der Kläger zu 1) nicht mehr erwerbstätig ist, genügt insoweit nicht, um die gesetzliche Vermutung für eine Nachteilsentstehung zu widerlegen. Auch nichterwerbstätige Personen sind in der Regel sinnvoll und nutzbringend tätig, sodass auch bei ihnen regelmäßig ein Nachteil durch Zeitversäumnis entsteht (Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011, § 20 Rn 20.4). Anhaltspunkte dafür, dass dies beim Kläger zu 1) anders sein könnte, bestehen nicht. Statt der von ihm geltend gemachten 37 Stunden können aber nur 22 Stunden anerkannt werden. Für den Verhandlungstag (10.11.2010) sind die gem. § 19 Abs. 2 JVEG höchstens zu berücksichtigenden zehn Stunden anzusetzen. Ausgehend von einer Reisezeit von maximal sechs Stunden sind für die An- und Abreisetage insgesamt zwölf Stunden berücksichtigungsfähig.
Weitere Übernachtungskosten kann der Kläger zu 1) nicht erstattet bekommen. Die von ihm zuletzt noch für die Übernachtung vom 10. auf den 11.11.2010 geltend gemachte Übernachtungspauschale in Höhe von 20,00 EUR steht ihm nicht zu. Die Pauschale nach § 6 Abs. 2 JVEG i.V.m. § 7 Abs. 1 S. 1 BRKG wird nur gewährt, wenn dem Betroffenen überhaupt Übernachtungskosten entstanden sind (vgl. Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl. 2011 § 6 Rn 6.5). Solche hat der Kläger zu 1) auch im Erinnerungsverfahren nicht glaubhaft gemacht. Er hat weder eine Hotelrechnung für die Übernachtung vorgelegt, noch auch nur angegeben, in welchem Hotel die Übernachtung stattgefunden haben soll.
Die Teilnahme an dem Verkündungstermin war zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung i.S.d. § 162 Abs. 1 VwGO nicht erforderlich. Die Verkündung einer Entscheidung erfolgt zu einem Zeitpunkt, in dem die mündliche Verhandlung bereits durchgeführt und abgeschlossen ist. Danach ist die Erlangung von Rechtsschutz in Form einer gerichtlichen Entscheidung nicht von der Anwesenheit eines Beteiligten beim Verkündungstermin abhängig (BVerfG, Kammerbeschl. v. 23.1.1989 – 1 BvR 1526/88).