Leitsatz
Jedenfalls dann, wenn der Antragsgegner massive Verfehlungen begangen hat, ist die Beiordnung eines Anwalts für die Antragstellerin geboten.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.7.2015 – 6 WF 150/15
1 Aus den Gründen
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung.
In Gewaltschutzverfahren ist eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben (§ 111 Nr. 6, § 112, § 114 Abs. 1 FamFG). Nach § 78 Abs. 2 FamFG wird einem Beteiligten allerdings gleichwohl ein Rechtsanwalt beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Nach der Gesetzesbegründung ist die Erforderlichkeit einer Anwaltsbeiordnung, also die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Der Gesetzgeber spricht insofern von engen Voraussetzungen für eine Beiordnung (BT-Drucks 16/6308, S. 213 f.). Entsprechend den Vorgaben des BVerfG zur Wahrung der Rechtsschutzgleichheit nach Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ist die Vorschrift jedoch verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Beiordnung jedenfalls dann zu erfolgen hat, wenn ein bemittelter Beteiligter vernünftigerweise ebenfalls einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte.
Hierzu ist auf eine am konkreten Einzelfall orientierte Notwendigkeitsprüfung abzustellen, die den Umfang und die Schwierigkeit der konkreten Sache und die Fähigkeit des Beteiligten berücksichtigt, sich mündlich oder schriftlich auszudrücken (BVerfG, Beschl. v. 18.12.2001 – 1 BvR 391/01, juris Rn 9, FamRZ 2002, 531; BGH, Beschl. v. 23.6.2010 – XII ZB 232/09, juris Rn 16, FamRZ 2010,1427 [= AGS 2010, 446]; OLG Bremen, Beschl. v. 7.4.2010 – 4 WF 47/10, juris Rn 4, FamRZ 2010, 1362 [= AGS 2010, 333]; Gottschalk, in: Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 7. Aufl., 2014, Rn 569).
Nach diesem Maßstab war der Antragstellerin auf ihren Antrag eine Rechtsanwältin beizuordnen.
Zwar war der Antragsgegner – wie im vorangegangenen Gewaltschutzverfahren (…) – seinerseits nicht anwaltlich vertreten, so dass eine Beiordnung nicht bereits aus diesem Grunde zu erwägen war (OLG Bremen, Beschl. v. 7.4.2010 – 4 WF 47/10, juris Rn 4, FamRZ 2010, 1362 [= AGS 2010, 333]). Auch war die Antragstellerin im vorangegangenen Gewaltschutzverfahren ohne anwaltliche Vertretung in der Lage, mit Unterstützung der Rechtsantragstelle sie schützende Anordnungen zu erwirken.
Doch erscheint die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe unter Berücksichtigung der besonderen Umstände gleichwohl angemessen. Der Antragsgegner hat mehrfach gegen die einstweiligen Anordnungen aus dem vorangegangenen Gewaltschutzverfahren verstoßen. Er ist innerhalb kurzer Zeit mehrfach vor der Wohnung der Antragstellerin erschienen, hat randaliert und die Antragstellerin beschimpft und bedroht. Die Antragstellerin hat darauf versucht, diese Übergriffe unter Zuhilfenahme der Polizei abzuwenden. Deren Einsätze sind in einer vorübergehenden Festnahme des Antragsgegners eskaliert. Damit hatte die Antragstellerin die ihr zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass ein bemittelter Beteiligter anwaltliche Hilfe für notwendig erachtet hätte, um die im Gewaltschutzverfahren erwirkten Anordnungen wirksam umzusetzen.
Dem steht nicht entgegen, dass in Gewaltschutzverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Auch im Amtsermittlungsverfahren darf der mittellose Beteiligte nicht schlechter gestellt werden als der Beteiligte, der die Kosten des Verfahrens aufbringen kann; überdies geht die Aufklärungs- und Beratungspflicht des Anwalts über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht des Richters hinaus. Der Grundsatz der Amtsermittlung enthebt die Beteiligten insbesondere nicht von ihrer Verpflichtung zur Mitwirkung an der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes. Insbesondere in Antragsverfahren haben die Beteiligten die Tatsachen vorzubringen, die ihr Rechtsschutzziel stützen, weil das Gericht ohne dieses Vorbringen regelmäßig keine Anhaltspunkte dafür haben wird, in welcher Richtung Ermittlungen zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen angestellt werden sollen (BVerfG, Beschl. v. 18.12.2001 – 1 BvR 391/01, juris Rn 10, FamRZ 2002, 531; OLG Bremen, Beschl. v. 7.4.2010 – 4 WF 47/10, juris Rn 4, FamRZ 2010, 1362; OLG Schleswig, Beschl. v. 13.10.2010 – 13 WF 134/10, juris Rn 12, FamRZ 2011, 388; Zimmermann, in: Keidel, FamFG, 18. Aufl., 2014, § 78 FamFG, Rn 6).
AGS, S. 431 - 432