Die kraft Zulassung durch den Anwaltsgerichtshof statthafte (vgl. § 112e S. 2 BRAO, § 124 Abs. 1 VwGO) und auch im Übrigen zulässige (§ 112e S. 2 BRAO, § 124a Abs. 6 VwGO) Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft (§ 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 42 VwGO). Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gem. § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer in Wahrnehmung seiner Aufgaben fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswidrig verhalten hat, so kann er diesen auf die Rechtsauffassung der Kammer hinweisen und über den Inhalt seiner Berufspflichten belehren. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer einem Kammermitglied eine derartige Belehrung, so stellt diese eine hoheitliche Maßnahme dar, die das betroffene Mitglied in seinen Rechten beeinträchtigen kann. Als solche ist sie anfechtbar (BGH, Urt. v. 18.7.2016 – AnwZ (Brfg) 22/15, juris Rn 10 m.w.N.; Urt. v. 5.12.2016 – AnwZ (Brfg) 31/14, juris Rn 7; vgl. auch BGH, Urt. v. 27.10.2014 – AnwZ (Brfg) 67/13, NJW 2015, 72 Rn 7).
2. Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat nicht gegen berufsrechtliche Pflichten verstoßen, indem er eine kostenlose Erstberatung für Personen angeboten hat, die einen Verkehrsunfall erlitten haben. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO nicht erfüllt.
a) Nach § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO ist es unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das RVG vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. Die Ausnahmevorschrift des § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO, nach welcher der Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen nach Erledigung des Auftrags unter bestimmten Voraussetzungen erlassen oder ermäßigen darf, greift ersichtlich nicht ein, weil die kostenlose Erstberatung vorab und unabhängig von der Bedürftigkeit des Auftraggebers angeboten wurde.
b) Das RVG sieht keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor. Die Vergütung einer Beratung in außergerichtlichen Angelegenheiten ist in § 34 Abs. 1 RVG geregelt. Für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft, die nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit zusammenhängen, soll der Rechtsanwalt auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit im Vergütungsverzeichnis keine Gebühren bestimmt sind. Wenn keine Vereinbarung getroffen worden ist, erhält der Rechtsanwalt Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, also in der Regel nach § 612 Abs. 2 BGB. Ist der Auftraggeber Verbraucher, beträgt die Gebühr für ein erstes Beratungsgespräch höchstens 190,00 EUR.
Schreibt das RVG keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor, gibt es keine Mindestgebühr, die unter Verstoß gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO unterschritten werden könnte. Das gilt auch hinsichtlich der nach § 34 Abs. 1 S. 2 RVG, § 612 Abs. 2 BGB bei Fehlen einer Vereinbarung maßgeblichen "üblichen" Vergütung; denn nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes gehen Gebührenvereinbarungen vor (vgl. hierzu auch die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts v. 11.11.2003, BT-Drucks 15/1971, 238 zu Art. 5, Nr. 3). In der Rspr. der Anwaltsgerichtshöfe (AGH Berlin AnwBl. 2007, 375, 376; AGH Hamm NJW-RR 2014, 1335, 1336; AGH Hamm AnwBl. 2016, 767, 768), der Zivilgerichte in Wettbewerbssachen (OLG Stuttgart NJW 2007, 924, 925; LG Essen NJW-RR 2014, 379, 380) und in der überwiegenden Kommentar- und Aufsatzliteratur (von Seltmann, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 49b BRAO Rn 30; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 49b Rn 9; Schneider/Wolf/Onderka, RVG, 7. Aufl., § 4 Rn 17; Wedel, JurBüro 2007, 623, 624; Himmelsbach, GRUR-Prax 2014, 399; Ring, DStR 2016, 2423; Fölsch, MDR 2016, 133, 135; vgl. auch Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Bräuer/Klipstein/Klüsener/Uher, RVG, 7. Aufl., § 4 Rn 7; Hartung, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., § 34 Rn 37; Feuerich/Weyland/Brüggemann, BRAO, 9. Aufl., § 49b Rn 9) wird eine kostenlose Erstberatung daher für zulässig gehalten.
c) Entgegen der Ansicht der Beklagten wird die Vorschrift des § 34 Abs. 1 S. 1 RVG nicht durch die in § 4 Abs. 1 RVG enthaltenen Regelungen dahingehend modifiziert, dass die vereinbarte Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko der anwaltlichen Leistung stehen muss.
aa) Nach § 4 Abs. 1 S. 1 und 2 RVG kann in außergerichtlichen Angelegenheiten eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung vereinbart werden. Die Vergütung muss in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Rechtsanwalts stehen. Nach Ansicht der Beklagten ist die Vorschrift des § 4 Abs. 1 S. 2 RVG auch auf Vergütungsvereinbarungen nach § 34 Abs. 1 S. 1 RVG anzuwenden. Ein vollständiger Verzicht auf Gebühren für anwaltliche Leistungen...