BRAO § 49b Abs. 1 S. 1; RVG §§ 4 Abs. 1, 34
Leitsatz
Der Rechtsanwalt darf kostenlose Erstberatungen für Personen anbieten, die einen Verkehrsunfall erlitten haben.
BGH, Urt. v. 3.7.2017 – AnwZ (Brfg) 42/16
1 Sachverhalt
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er ist Partner der Sozietät M & D. Im Juni 2014 schaltete die Sozietät in einer Zeitung folgende Anzeige:
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Mit Bescheid v. 28.5.2015 erteilte die Beklagte dem Kläger eine belehrende Ermahnung wegen der Verletzung der Grundsätze anwaltlichen Gebührenrechts. Nach § 49b BRAO, §§ 34, 4 RVG sei eine kostenlose Rechtsberatung ohne inhaltliche Qualifizierung anhand der Besonderheiten des Falls oder der den Rechtsrat suchenden Person unzulässig. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid v. 23.7. 2015 zurückgewiesen.
Der Kläger hält die belehrende Ermahnung für rechtswidrig. Seiner Ansicht nach kommt im Bereich der außergerichtlichen Beratung eine verbotene Gebührenunterschreitung schon deshalb nicht in Betracht, weil es keine gesetzlichen Gebühren mehr gibt. Er hat beantragt, die belehrende Ermahnung der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Ihrer Ansicht nach darf ein Rechtsanwalt seine anwaltlichen Leistungen nur gegen eine angemessene Vergütung anbieten. Dies folge aus einer Gesamtschau der Regelungen in § 49b Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BRAO, § 4 RVG sowie aus dem Rechtsgedanken der §§ 611, 612 BGB und dem darin zum Ausdruck kommenden Äquivalenzprinzip.
Der Anwaltsgerichtshof hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben.
Die hiergegen erhobene Berufung hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die kraft Zulassung durch den Anwaltsgerichtshof statthafte (vgl. § 112e S. 2 BRAO, § 124 Abs. 1 VwGO) und auch im Übrigen zulässige (§ 112e S. 2 BRAO, § 124a Abs. 6 VwGO) Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft (§ 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 42 VwGO). Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gem. § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer in Wahrnehmung seiner Aufgaben fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswidrig verhalten hat, so kann er diesen auf die Rechtsauffassung der Kammer hinweisen und über den Inhalt seiner Berufspflichten belehren. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer einem Kammermitglied eine derartige Belehrung, so stellt diese eine hoheitliche Maßnahme dar, die das betroffene Mitglied in seinen Rechten beeinträchtigen kann. Als solche ist sie anfechtbar (BGH, Urt. v. 18.7.2016 – AnwZ (Brfg) 22/15, juris Rn 10 m.w.N.; Urt. v. 5.12.2016 – AnwZ (Brfg) 31/14, juris Rn 7; vgl. auch BGH, Urt. v. 27.10.2014 – AnwZ (Brfg) 67/13, NJW 2015, 72 Rn 7).
2. Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat nicht gegen berufsrechtliche Pflichten verstoßen, indem er eine kostenlose Erstberatung für Personen angeboten hat, die einen Verkehrsunfall erlitten haben. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO nicht erfüllt.
a) Nach § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO ist es unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen zu vereinbaren oder zu fordern, als das RVG vorsieht, soweit dieses nichts anderes bestimmt. Die Ausnahmevorschrift des § 49b Abs. 1 S. 2 BRAO, nach welcher der Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen nach Erledigung des Auftrags unter bestimmten Voraussetzungen erlassen oder ermäßigen darf, greift ersichtlich nicht ein, weil die kostenlose Erstberatung vorab und unabhängig von der Bedürftigkeit des Auftraggebers angeboten wurde.
b) Das RVG sieht keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor. Die Vergütung einer Beratung in außergerichtlichen Angelegenheiten ist in § 34 Abs. 1 RVG geregelt. Für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft, die nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit zusammenhängen, soll der Rechtsanwalt auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit im Vergütungsverzeichnis keine Gebühren bestimmt sind. Wenn keine Vereinbarung getroffen worden ist, erhält der Rechtsanwalt Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, also in der Regel nach § 612 Abs. 2 BGB. Ist der Auftraggeber Verbraucher, beträgt die Gebühr für ein erstes Beratungsgespräch höchstens 190,00 EUR.
Schreibt das RVG keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor, gibt es keine Mindestgebühr, die unter Verstoß gegen § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO unterschritten werden könnte. Das gilt auch hinsichtlich der nach § 34 Abs. 1 S. 2 R...