ZPO § 114; BGB §§ 1313, 1314 Abs. 2 Nr. 5, 1565, 1566; FamFG § 126 Abs. 3
Leitsatz
- Liegen die Voraussetzungen sowohl der Ehescheidung als auch der Eheaufhebung vor, haben die Ehegatten die Wahl zwischen beiden Anträgen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist nicht mutwillig.
- Beide Ehegatten trifft eine gesteigerte Pflicht, Rücklagen für die Kosten eines bereits absehbaren Eheaufhebungs- oder Scheidungsverfahrens zu bilden, wenn sie rechtsmissbräuchlich die Ehe geschlossen haben. Verfahrenskostenhilfe kann nur versagt werden, wenn ein Vermögen oder Einkommen vorhanden war, aus dem Rücklagen hätten gebildet werden können. Liegt die Eheschließung lange zurück, dürfen die Anforderungen an die Darlegung einer fehlenden Möglichkeit der Rücklagenbildung nicht überspannt werden.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 4.1.2017 – 1 WF 241/16
1 Sachverhalt
Der Eheleute hatten am 31.7.2000 in Deutschland die Ehe geschlossen. Die Beteiligten sind deutsche Staatsangehörige, der Antragsteller hatte zur Zeit der Heirat die syrische Staatsangehörigkeit.
Gegen die Beteiligten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz geführt. Die Antragsgegnerin akzeptierte den in diesem Verfahren erlassenen Strafbefehl des AG, in dem ihr vorgeworfen wurde, am 11.8.2000, 15.10.2001 und 28.10.2002 dem Antragsteller vorsätzlich zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat, nämlich unrichtige Angaben gemacht zu haben, um für sich eine Aufenthaltsgenehmigung zu schaffen, Hilfe geleistet zu haben, indem sie erklärt habe, mit ihm in einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu leben, obwohl die Ehe am 31.7.2000 nur zum Schein eingegangen war. Gegen den Antragsteller erging ebenfalls ein Strafbefehl. Auf seinen Einspruch wurde das Verfahren gem. § 153a Abs. 2 StPO nach Erfüllung einer Auflage endgültig eingestellt.
Der Antragsteller beantragt die Scheidung der Ehe. Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz v. 13.6.2016 ebenfalls die Scheidung der Ehe beantragt. Mit weiterem Schriftsatz v. 6.9.2016 beantragt sie, die Ehe der Beteiligten gem. § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB aufzuheben. Sie behauptet, die Ehe sei nur zum Schein eingegangen worden, eine Lebensgemeinschaft habe nie bestanden.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AG den Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragstellers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil es sich um eine Scheinehe gehandelt habe, die nicht geschieden, sondern nur gem. § 1314 Abs. 2 Nr. 5 BGB aufgehoben werden könne. Hiergegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung bestreitet der Antragsteller das Vorliegen einer Scheinehe und trägt vor, die Beteiligten hätten v. 17.8.2000 bis zum 13.8.2003 einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt. Das AG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2 S. 2, 567 ff. ZPO statthaft und im Übrigen zulässig, sie ist auch in der Sache begründet.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Voraussetzungen einer Scheidung gem. §§ 1565, 1566 BGB liegen vor, da die Beteiligten in den letzten drei Jahren unstreitig nicht zusammen gelebt haben; die Voraussetzungen einer Eheaufhebung dürften ebenfalls vorliegen. Beide Anträge können zulässigerweise nebeneinander gestellt werden, wie sich aus § 126 Abs. 3 FamFG ergibt. Wenn sowohl die Voraussetzungen des § 1314 BGB als auch die der §§ 1565 ff. BGB vorliegen, haben die Ehegatten die Wahl zwischen beiden Möglichkeiten und können ohne Weiteres von dem einen auf den anderen Antrag übergehen (§ 113 Abs. 4 Nr. 2 FamFG; vgl. Staudinger-Voppel, BGB, Neubearbeitung 2015, Vorbem. zu §§ 1313 ff., Rn 27 m.w.N., Rn 35 m.w.N.; BGH FamRZ, 1989, 153 Rn 18). Der Antrag auf Aufhebung der Ehe ist erst dann vorrangig, wenn über beide Anträge zu entscheiden ist und beide begründet sind (§ 126 Abs. 3 FamFG; Staudinger-Voppel, a.a.O., Rn 27; Musielak-Borth-Grandel, FamFG, 5. Aufl., § 126 Rn 5). Dasselbe gilt, wenn der eine Ehegatte die Scheidung der Ehe und der andere Ehegatte deren Aufhebung beantragt (wegen weiterer Besonderheiten des Verfahrens, insbesondere der Behandlung der Folgesachen vgl. Staudinger-Voppel, Vorbem. zu §§ 1313 ff. BGB, Rn 38–40).
Die Verfahrenskostenhilfe ist auch nicht wegen Mutwilligkeit zu versagen (vgl. BGH FamRZ 2011, 872, Rn 11 ff.; BVerfG FamRZ 1984, 1206 ff.). Da ein Eheaufhebungs- oder ein Scheidungsverfahren die einzigen Möglichkeiten zur Auflösung einer Scheinehe sind, kann zwar die Eingehung der Scheinehe als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, nicht aber die Beseitigung der dadurch eingetretenen Rechtsfolgen (vgl. BGH FamRZ 2011, 872, Rn 13).
Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe liegen ebenfalls vor. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er nicht in der Lage ist, die voraussichtlich auf ihn entfallenden Verfahrens...