RVG § 15
Leitsatz
- Zwischen Klageverfahren und vergütungsrechtlicher Angelegenheit besteht grundsätzlich Identität (Fortsetzung von BayLSG, Beschl. v. 4.10.2010 – L 15 B 389/08 AL KO). Veränderungen des Klagegegenstands wie Verbindungen oder Trennungen schlagen sich grundsätzlich in der Zahl der Angelegenheiten nieder.
- Liegen besondere Umstände vor, kann davon abgewichen werden; derartige Ausnahmefälle dürfen jedoch nur mit Behutsamkeit angenommen werden.
- Werden in zwei verschiedenen Verfahren Leistungen nach dem SGB II für Unterkunft und Heizung eingeklagt, die verschiedene Zeiträume betreffen, liegen in aller Regel zwei Angelegenheiten i.S.v. § 15 RVG vor.
Bayerisches LSG, Beschl. v. 22.8.2012 – L 15 SF 57/11 B E
1 Sachverhalt
Der Beschwerdeführer vertrat seinen Mandanten in zwei Klageverfahren vor dem SG (S 52 AS 650/06 u. S 52 AS 1864/06), wobei er jeweils im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden war. In beiden Verfahren ging es um Leistungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen des Arbeitslosengelds II, wobei unterschiedliche Zeiträume Streitgegenstand waren.
Nach Erledigung beider Klageverfahren beantragte der Beschwerdeführer beim SG die Festsetzung seiner Vergütung nach §§ 45 ff. RVG. Dabei stellte er für jedes der beiden Klageverfahren einen gesonderten Antrag. Für das Verfahren S 52 AS 650/06 beantragte er 321,30 EUR (bei einer Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV in Höhe von 250,00 EUR), für das Verfahren S 52 AS 1864/06 226,10 EUR (bei einer Verfahrensgebühr gem. Nr. 3102 VV in Höhe von 170,00 EUR; die Verfahrensgebühr war wegen der Vorbefassung im Widerspruchsverfahren vermindert).
Die Kostenbeamtin beim SG fasste beide Anträge zusammen (ihre Festsetzung trägt beide Aktenzeichen) und setzte insgesamt 321,30 EUR fest. Sie vertrat die Auffassung, es liege nur eine einzige Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG vor. Dagegen hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt.
Der Kostenrichter beim SG hat daraus zwei Vorgänge gemacht (S 52 SF 718/09 E u. S 52 SF 719/09 E). Unter dem Aktenzeichen S 52 SF 719/09 E hat er entschieden, dass für das Klageverfahren S 52 AS 1864/06 keine Vergütung aus der Staatskasse zustehe. Zur Begründung hat er – unter Verweisung auf Rspr. des BVerwG – ausgeführt, in der Tat liege nur eine einzige Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG vor. Dafür könne nur eine Gebühr beansprucht werden. Die Ausgangsverfahren würden sich lediglich hinsichtlich der Bewilligungszeiträume unterscheiden; materiell-rechtlich hätten beide Verfahren die gleiche Rechtsfrage betroffen. Die beklagte Behörde habe mehrere Verwaltungsakte aus einem Rechtsgrund erlassen. Beauftrage der Adressat der angefochtenen Verwaltungsakte einen Rechtsanwalt damit, aus demselben rechtlichen Gesichtspunkt einheitlich gegen alle Verwaltungsakte vorzugehen, werde der Rechtsanwalt, sofern keine inhaltliche oder formale Differenzierung zwischen den Verfahren geboten sei, in "derselben Angelegenheit" tätig. Im vorliegenden Fall sei eine objektive Klagehäufung möglich gewesen; nur der Erlass des Widerspruchsbescheids im Folgeverfahren hätte noch abgewartet werden müssen.
Dagegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt. Er argumentiert, es lägen sehr wohl zwei voneinander zu trennende Verfahren und auch zwei verschiedene Angelegenheiten i.S.v. § 15 RVG vor. Er hält an seinem ursprünglichen Kostenansatz in Höhe von 226,10 EUR fest.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die Beschwerde ist begründet, weil der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Festsetzung von 226,10 EUR hat. Die Prozessvertretung durch den Beschwerdeführer im Verfahren S 52 AS 1864/06 stellt gegenüber der im Verfahren S 52 AS 650/06 eine eigene Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG dar (vgl. unten 1.). Die vom Beschwerdeführer hierfür angesetzten Kosten in Höhe von 226,10 EUR entsprechen auch billigem Ermessen (vgl. unten 2.).
1. Die beiden Klageverfahren S 52 AS 1864/06 u. S 52 AS 650/06 verkörpern unterschiedliche Angelegenheiten i.S.v. § 15 RVG. Daher sind für beide Verfahren, auch für das Verfahren S 52 AS 1864/06, Kosten nach dem RVG entstanden.
Nach der Rspr. des Senats (Beschl. v. 4.10.2010 – L 15 B 389/08 AL KO, Beschl. v. 31.7.2012 – L 15 SF 214/10 B E) besteht grundsätzlich Identität zwischen Klageverfahren und vergütungsrechtlicher Angelegenheit. Überdies gilt das Prinzip, dass Veränderungen des Klagegegenstands (z.B. Verbindungen, Trennungen) sich auch entsprechend im Vergütungsanspruch des Anwalts – und zwar zu dessen Gunsten wie auch zu dessen Ungunsten – niederschlagen. Ebenso wie es das BVerwG in der vom SG angeführten Entscheidung NJW 2000, 2289 betont hat, vertritt auch der Senat die Auffassung, dass nach den besonderen Umständen des konkreten Falls durchaus eine abweichende Behandlung geboten sein kann. So kann sicher nicht hingenommen werden, wenn objektiv Zusammengehörendes künstlich aufgespaltet wird.
Allgemein muss mit Abweichungen vom Grundsatz der Identität von Klageverfahren und Angelegenheit aber behutsam umgegangen werden. Denn gerade dieser Grundsatz ermöglicht es den Kostenbeamte...