Die Frage[1], inwieweit eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr eingeklagt werden kann und wieweit sie im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren anzurechnen ist, hat die Rechtsprechung wie kaum ein anderes Kostenthema in den vergangenen Jahren beschäftigt. Diese Rechtsprechung hat derartige Blüten zutage gebracht, dass sich der Gesetzgeber nach Inkrafttreten des RVG erstmals genötigt sah, einzugreifen und im Gesetz durch einen neuen § 15a RVG klarzustellen, wie er die Anrechnungsvorschriften verstanden wissen wollte. Seitdem haben sich die Wogen auch wieder geglättet. Die Rechtslage war eigentlich klar:

Eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr kann in vollem Umfang eingeklagt werden. Der Kläger muss sich nicht auf den anrechnungsfreien Teil der Geschäftsgebühr beschränken.
Wird die Geschäftsgebühr tituliert oder wird sie gezahlt, muss die Anrechnung dann im Rahmen der Kostenfestsetzung berücksichtigt werden.

Das für eigenwillige RVG-Auslegungen bekannte OLG Düsseldorf stellt dies alles nunmehr wieder in Frage. In seiner Entscheidung vom 17.1.2012 – 24 U 78/11 (S. 543, in diesem Heft) vertritt es doch allen Ernstes wieder die Auffassung, eine Geschäftsgebühr könne zulässigerweise nur in Höhe des anrechnungsfreien Teils eingeklagt werden; im Übrigen bestehe nämlich kein Rechtsschutzbedürfnis, weil der anzurechnende Teil im Kostenfestsetzungsverfahren berücksichtigt werden könne. Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung findet nicht statt. Weshalb kein Rechtsschutzbedürfnis bestehen soll, verrät das OLG daher auch nicht.

Es geht mit keinem Wort auf die zahlreichen unterschiedlichen Auswirkungen des materiellen und des prozessualen Kostenerstattungsanspruchs ein.

So kann der Kläger, wenn er die Geschäftsgebühr als materiell-rechtlichen Anspruch geltend macht, einen viel früheren Verzinsungsbeginn erhalten, nämlich spätestens mit Zustellung der Klage (§ 291 ZPO) und nicht erst nach Erlass der Kostengrundentscheidung und anschließendem Festsetzungsantrag (§ 104 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Auch ist es dem Kläger möglich, einen höheren Zinsschaden geltend zu machen als den gesetzlichen Zinssatz (§ 288 Abs. 4 BGB), während im Kostenfestsetzungsverfahren nur der gesetzliche Zinssatz des § 288 Abs. 1 S. 2 BGB gilt (§ 104 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Im Übrigen kann ein Rechtsschutzbedürfnis nur dann fehlen, wenn der Kläger im Rechtsstreit auch eine 100%ige Kostengrundentscheidung zu seinen Gunsten erhält, was er aber nicht voraussehen kann. Nur bei einer 100%igen Kostenentscheidung kann der Kläger den in der Verfahrensgebühr enthaltenen anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr auch festsetzen lassen. Kommt es im Rechtsstreit zu einer Quote, dann erhält er gerade nicht mehr seine volle anteilige Geschäftsgebühr festgesetzt, selbst wenn sie ihm nach materiellem Recht in vollem Umfang zustünde.

So ist es durchaus möglich, dass der Kläger mit seiner Klage durchdringt und folglich auch ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der ihm entstandenen vorgerichtlichen Geschäftsgebühr besteht, infolge einer Widerklage, die ebenfalls begründet ist, es aber zu einer Kostenquotierung kommt, an der dann auch die Geschäftsgebühr teilnimmt.

Denkbar ist auch, dass der Beklagte im Rechtsstreit kostenbefreiend anerkennt (§ 93 ZPO), dass der Kläger also gewinnt, aber keinen prozessualen Kostenerstattungsanspruch erhält.

Kommt es zu einer Erledigung der Hauptsache, ist der Kläger bei einem prozessualen Kostenerstattungsanspruch auf eine Billigkeitsentscheidung nach § 91a ZPO angewiesen und kann gerade nicht die materielle Berechtigung seines Schadensersatzanspruchs prüfen lassen.

Abgesehen davon ist eine Kostenentscheidung zugunsten des Klägers/Antragstellers nicht immer zwingend. So wird in einer Unterhaltssache nach § 243 FamFG nach billigem Ermessen über die Kosten entschieden. Hier kann es also durchaus sein, dass der Kläger gewinnt, aber dennoch die Kosten nicht oder nicht in voller Höhe zu erstatten sind (siehe hierzu AG Siegburg AGS 2012, 41).

Kommt es zu einem erstinstanzlichen vorläufig vollstreckbaren Urteil, gegen das Berufung eingelegt wird, kann der anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr viel früher vollstreckt werden als im Falle einer späteren Kostenfestsetzung, die im Zweifel erst nach Rechtskraft ergeht.

All dies spricht deutlich für ein Rechtsschutzbedürfnis.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist in diesem Punkt schlichtweg falsch. Es ist zu hoffen, dass sie nicht Schule macht und der BGH in dieser Frage erneut angerufen werden muss oder gar ein weiteres Einschreiten des Gesetzgebers einfordert.

Autor: Norbert Schneider

Norbert Schneider/Lotte Thiel

[1] Goethe, Hermann und Dorothea 3.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge