RVG §§ 44 Abs. 1 S. 1, 15 Abs. 2, 16 Nr. 4
Leitsatz
Wird ein Beratungshilfeschein für die Angelegenheiten "Trennung, Scheidung und Folgesachen" erteilt, sind bei einer anschließenden umfassenden Beratung durch einen Rechtsanwalt die vier Komplexe
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Scheidung als solche, |
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das persönliche Verhältnis zu den Kindern (Personensorge, Umgangsrecht), |
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Fragen im Zusammenhang mit Ehewohnung und Hausrat, |
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finanzielle Auswirkungen von Trennung und Scheidung (Unterhaltsansprüche, Güterrecht, Vermögensauseinandersetzung), |
jeweils als gesonderte gebührenrechtliche Angelegenheiten zu behandeln, sodass die Beratungsgebühr für insgesamt bis zu vier Angelegenheiten geltend gemacht werden kann.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 17.10.2012 – 8 W 379/11
1 Sachverhalt
Die Beteiligte zu 1) erhielt vom AG einen Beratungshilfeschein für rechtliche Beratung in den Angelegenheiten "Trennung, Scheidung und Folgesachen". Nach anwaltlicher Beratung durch den Beteiligten zu 2) beantragte dieser beim AG die Festsetzung von Beratungshilfegebühren in Höhe von insgesamt 142,80 EUR und zwar jeweils in Höhe von 30,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer für die Beratung über Trennung, Trennungsfolgen, Scheidung, Scheidungsfolgen.
Die Urkundsbeamtin setzte die Vergütung auf insgesamt 71,40 EUR fest und begründete dies damit, dass der Beteiligte zu 2) lediglich in zwei verschiedenen Angelegenheiten – Trennung und Trennungsfolgen sowie Scheidung und Scheidungsfolgen – beratend tätig gewesen sei.
Dagegen wandte sich der Beteiligte zu 2) mit der Erinnerung, die der zuständige Richter des AG unter Zulassung der Beschwerde zurückgewiesen hat.
In seiner dagegen eingelegten Beschwerde wies der Beteiligte zu 2) darauf hin, dass sich seine Erstberatung umfassend auch auf die Komplexe Scheidung, elterliche Sorge/Umgang mit den Kindern, Ehewohnung und Hausrat sowie finanzielle Auswirkung von Trennung und Scheidung erstreckt habe. Die Bezirksrevisorin ist der Beschwerde entgegen getreten.
Die Beschwerdekammer hat die Beschwerde unter Hinweis auf die bisherige Rspr. des Senats (Beschl. v. 4.10.2006 – 8 W 360/06, FamRZ 2007, 574 [= AGS 2007, 97]; Die Justiz 2007, 187) zurückgewiesen, wonach für die Beratungshilfe in einer Familiensache Regelungen für die Zeit der Trennung einerseits und die Scheidung mit den Folgesachen i.S.d. § 16 Nr. 4 RVG andererseits jeweils eine Angelegenheit darstellten, und wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die weitere Beschwerde zugelassen.
Der weiteren Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat das Beschwerdegericht nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Die weitere Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
In der Sache ist die Beschwerde begründet. Dem Beteiligten zu 2) steht eine Vergütung in Höhe von insgesamt 142,80 EUR zu, weil er in insgesamt vier Angelegenheiten tätig geworden ist.
Das BerHG sieht Beratung in "Angelegenheiten" vor (§§ 2 Abs. 2, 6 BerHG). Gem. § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens eine Vergütung nach § 2 Abs. 2 RVG i.V.m. Nrn. 2500 bis 2508 VV. Da es sich bei der Beratungshilfe-Vergütung um Festgebühren handelt und das Korrektiv des Gegenstandswerts fehlt, kommt dem Begriff der "Angelegenheit" besondere Bedeutung zu. Eine nähere Bestimmung dieses Begriffs findet sich im BerHG nicht, wohl aber in den §§ 15 ff. RVG (vgl. dazu Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Aufl., Rn 1012). Das BVerfG hat in seiner Entscheidung v. 31.10.2001 (AGS 2002, 273) ausgeführt, dass der Begriff der Angelegenheit wegen der ohnehin niedrigen Gebühren des Rechtsanwalts nicht zu weit gefasst werden dürfe, es komme aber auf den konkreten Einzelfall an. Um eine Angelegenheit bejahen zu können, müssen als Kriterien vorliegen: gleichzeitiger Auftrag, gleichartiges Verfahren, innerer Zusammenhang der Beratungsgegenstände bei zeitlichem und sachlichem Zusammenhang der Bearbeitung (Büttner u.a., a.a.O).
Wurde – wie auch vorliegend – Beratungshilfe für die Angelegenheiten "Trennung, Scheidung und Folgesachen" gewährt, ist der Senat (a.a.O.) vom Vorliegen von zwei Angelegenheiten ausgegangen, weil der Rechtsgedanke des § 16 Nr. 4 RVG – Scheidung und Folgesachen als dieselbe Angelegenheit im Verbundverfahren – auf die Beratungshilfe-Vergütung übertragbar sei und Rechtskraft der Scheidung eine Zäsur zu Regelungen für die Zeit der Trennung bilde (so auch OLG München AGS 2012, 25).
Dem sind die Mehrzahl der Oberlandesgerichte (ablehnend u.a.: OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1244 [= AGS 2009, 79]; OLG Köln FamRZ 2009, 1345 [= AGS 2009, 422]; OLG Hamm FamRZ 2011, 377; OLG Dresden FamRZ 2011, 1684 [= AGS 2011, 138]; OLG Nürnberg NJW 2011, 3108 [= AGS 2011, 298]; OLG Celle NJW 2011, 3109 [= AGS 2011, 504]; zustimmend lediglich OLG Brandenburg FamRZ 2010, 833; OLG München AGS 2012, 25) und namhafte Stimmen in der Literatur (Büttner u.a. a.a.O. Rn 1022; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl., § 16 Rn 28; AnwK-RVG/N. Schneider, 5. A...