Leitsatz
Auch nach Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse besteht für einen Gläubiger der Insolvenzschuldnerin ein rechtliches Interesse an der Einsicht in die Insolvenzakten fort. Dieses entfällt nicht dadurch, dass der Gläubiger die Akteneinsicht begehrt, um festzustellen, ob ihm Ansprüche gegen Dritte zustehen.
Sachverhalt
Der Antragsteller begehrt Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der X-GmbH. Diesem Akteneinsichtsgesuch hat das Amtsgericht nicht entsprochen, weil das dafür erforderliche rechtliche Interesse für einen nicht am Verfahren beteiligten Dritten dann nicht bestehe, wenn er lediglich mögliche Ansprüche gegen Organe der Schuldnerin prüfen wolle. Dagegen wendet sich der Antragsteller gemäß § 23 EGGVG mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Das zuständige OLG sah sich an der Gewährung der Einsicht zunächst durch abweichende Entscheidungen anderer OLG gehindert, wurde in seiner gegenteiligen Ansicht aber vom BGH bestätigt.
Entscheidung
Nach Auffassung des BGH resultiert das erforderliche rechtliche Interesse an der Akteneinsicht bereits aus der Gläubigereigenschaft des Antragstellers.
§ 4 InsO setzt voraus, dass persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt berührt werden. Dabei muss sich das rechtliche Interesse aus der Rechtsordnung selbst ergeben; es erfordert als Mindestbedingung ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes gegenwärtiges Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Die Gläubigerstellung des Antragstellers schafft eine solche unmittelbare rechtliche Beziehung zur Schuldnerin. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätte ihm als Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO das Akteneinsichtsrecht zweifelsfrei zugestanden. Auch nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse muss dem Antragsteller die Möglichkeit erhalten bleiben, Einsicht in die Insolvenzakte zu nehmen. Denn es ist weiterhin nicht auszuschließen, dass der Antragsteller seine Forderung noch realisieren kann. Sie besteht fort und hat jedenfalls dann noch Aussicht auf erfolgreiche Beitreibung, wenn sich herausstellt, dass noch Gesellschaftsvermögen der Schuldnerin vorhanden ist. Solange solches Gesellschaftsvermögen noch existiert, führt selbst die Löschung nicht zur Beendigung der Gesellschaft.
Wollte man von einem Gläubiger zur Darlegung seines rechtlichen Interesses verlangen, er müsse über die Glaubhaftmachung seiner Gläubigerposition hinaus weitere Umstände benennen, die bereits den Erfolg der Akteneinsicht im Sinne einer Feststellung noch vorhandenen Gesellschaftsvermögens wahrscheinlich machen, verlangte man in vielen Fällen Unzumutbares. Dem Gläubiger fehlen regelmäßig die entsprechenden Kenntnisse, was sein Begehren nach Akteneinsicht gerade demonstriert.
Das rechtliche Interesse des Gläubigers entfällt nicht deshalb, weil er feststellen will, ob ihm Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter der Schuldnerin zustehen, etwa wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht nach den §§ 64, 84 GmbHG. Grundlegende Voraussetzung solcher Schadensersatzansprüche ist, dass der Antragsteller einen Schaden erlitten hat. Ein solcher scheidet aber aus, soweit der Antragsteller seine Forderung noch bei der Gesellschaft beitreiben kann. Daran zeigt sich, dass auch insoweit die Frage der Vermögenslage der Schuldnerin im Mittelpunkt des Interesses des Antragstellers steht.
Praxishinweis
Dass ein Gläubiger durch Einsicht in die Insolvenzakte sowohl Informationen über die Schuldnerin als auch über Dritte gewinnen kann, ist nach Meinung des BGH hinzunehmen, weil anderenfalls dem schutzwürdigen rechtlichen Interesse des Gläubigers im Verhältnis zum Schuldner nicht entsprochen und der Gläubiger so in seinem Recht auf Akteneinsicht verletzt würde. Auch aus den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner Organe nach § 97 Abs. 1 InsO ist kein besonderes Geheimhaltungsinteresse abzuleiten. Diese Obliegenheiten dienen gerade dem Gläubigerschutz.
Link zur Entscheidung
BGH-Beschluss vom 5.4.2006, IV AR (VZ) 1/06